EGONET.de
Ausgabe 11/1999
Intelligenz
Die Grundlagen menschlichen Denkens

Den Satz „Sie (oder er) ist intelligent" hat jeder von uns schon mehrfach ausgesprochen und damit die Denkfähigkeit eines Mitmenschen eingeschätzt. Bei der Beantwortung der Frage, was „intelligent" eigentlich heißt, kämen die meisten von uns aber in arge Verlegenheit. Doch selbst Fachleute streiten immer noch, was das eigentlich ist: Intelligenz.  
 
Es gibt so viele Definitionen von Intelligenz, wie Forscher, die sich mit ihr beschäftigen. Klar ist, Intelligenz ist nicht dasselbe wie Klugheit oder Wissen. Es ist die Fähigkeit, die da sein muß, um mit Wissen und Bildung etwas anfangen zu können. Das heißt, zuerst ist die Intelligenz da, und dann die Erziehung.

Andererseits läßt sich Intelligenz nicht unbedingt an Schulleistungen ablesen. Sicher, ein Kind, dem die Intelligenz fehlt, wird nie eine große Leuchte sein. Andererseits kann man in der Schule durch fleißiges Auswendiglernen gut verdecken, daß der behandelte Stoff gar nicht verstanden wurde. Und schließlich gibt es immer wieder intelligente Schüler, die keine Lust zum Büffeln haben, und deshalb nur mäßige Zensuren nach Hause bringen.

Eine Reihe weiterer Probleme tut sich auf. Ist Intelligenz eine allgemeine Denkbegabung oder bezieht sie sich nur auf spezielle Fähigkeiten? Einige der größten Mathematiker hatten Schwierigkeiten ihr Abitur zu bestehen, weil sie im Lateinunterricht scheiterten. Musikgenies wiederum waren häufig Problemfälle im Matheunterricht.

Leider – oder zum Glück – ist Intelligenz nicht von außen zu sehen. Man hat Versuchspersonen Fotos von Personen gegeben und sie gebeten, deren Intelligenz einzuschätzen. Dabei zeigten sich zwei Dinge:

1. Jeder fühlt sich instinktiv in der Lage, vom Äußeren her die Intelligenz anderer einzuschätzen und gibt ein sicheres Urteil ab, wenn er dazu aufgefordert wird.

2. Das Ergebnis dieser Einschätzungen geht katastrophal in die Irre. Die Versuchspersonen lassen sich von der Sympathie, der Kleidung oder angeborenen Gesichtszügen leiten. Das Gesamtresultat ihrer Beurteilung ist nicht besser als eine zufällige, blinde Zuordnung von Intelligenzquotienten.

Etwas besser wird das Ergebnis, wenn es gilt, lebendige Personen bei Alltagstätigkeiten zu beurteilen. Ein wacher Blick und rasche, sparsame Bewegungen werden mit Recht als Anzeichen von Intelligenz genommen. Noch zuverlässiger wird das Urteil, wenn die zu beurteilende Person spricht. Längere Sätze und ein reiches Vokabular, das viele abstrakte Begriffe richtig verwendet, ist ein sicherer Hinweis auf Intelligenz. Man kann damit grob drei Klassen unterteilen: wenig, mäßig und hoch intelligent. Doch auch hier sind Irrtümer möglich. Viele Menschen sprechen „intelligent", wenn sie über etwas reden, womit sie sich auskennen und werden unbeholfen, sobald sie sich auf wenig vertrautem Terrain bewegen. Daher entstand bald das Bedürfnis, eine zuverlässige Methode zu entwickeln, mit der Intelligenz sich messen läßt.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte der Franzose Binet den ersten Intelligenztest– ursprünglich mit dem Ziel, bei Schulversagern die Milieugeschädigten von den von Natur Unbegabten zu trennen. Die US-Army wendete bald darauf Intelligenztests für die Auswahl und den optimalen Einsatz ihrer Rekruten an. Als sich dabei ergab, daß die Schwarzen im Durchschnitt weniger gut abschnitten als die Weißen, entbrannte eine ideologische Schlacht um das Wort „Intelligenz", deren Feuer noch heute schwelen.

Es stellte sich heraus, daß es unmöglich ist, eindeutig festzustellen:

· Ist Intelligenz ausschließlich angeboren oder in größerem Maße lernabhängig?

· Welche Einzelfähigkeiten gehören zur Intelligenz? Gängige Intelligenztest konzentrieren sich auf Sprachliches und Logik (besonders das Klassifizieren von Ober- und Unterbegriffen), räumlich-technisches Vorstellungsvermögen und mathematisches Problemlösen.

· Läßt sich ein kulturunabhängiger Intelligenztest konstruieren?

· Wie hängen Intelligenz und Lebenserfolg zusammen?

· Gibt es überhaupt „die" Intelligenz oder muß man mehrere Intelligenzen unterscheiden?

In ihrer Verzweiflung behaupteten manche Forscher schließlich: „Intelligenz ist, was ein Intelligenztest mißt." Damit wäre Intelligenz nur noch davon abhängig, was der jeweilige Tester für Aufgaben stellt.

Auch wir werden die Probleme der Psychologen nicht lösen können – aber ein bißchen Klarheit schaffen, das sollte möglich sein.

Über ein paar Dinge sind sich alle Experten einig:

· Intelligenz mißt bestimmte allgemeine Aspekte der Denkfähigkeiten.

· Intelligenz steht für das Niveau der Denkprozesse, die bei den Individuen unterschiedlich ausgeprägt ist.

· Intelligenz befähigt, Probleme mittels Nachdenken zu lösen. Sie setzt vor allem drei Fähigkeiten voraus:

* Im Geiste neue Wege zu finden, um scheinbar Unlösbares doch noch zu bewältigen.

* Effektiv zu lernen und das Gelernte und Erfahrene optimal zu nutzen.

* Konkrete Schwierigkeiten mit abstrakten Mitteln (Formeln, Symbole Begriffe) anzupacken.

Die „klassische" Intelligenz ist also die Fähigkeit, mittels abstraktem Denken Probleme zu lösen. Im Vordergrund steht dabei die Befähigung, Hindernisse durch das Ersinnen von klug gewählten Umwegen zu umgehen. Noch deutlicher wird dies vielleicht, wenn wir uns klar machen, was Intelligenz nicht ist.

1. Intelligenz ist nicht Lebenserfolg. Die Fähigkeit, für schwierige Probleme Auswege zu finden, kann auch im Alltag hilfreich sein, genügt aber häufig nicht. Das zwischen-menschliche Miteinander erfordert außerdem emotionales Einfühlungsvermögen, praktische Fertigkeiten, Interesse an den innerseelischen Vorgängen der Mitmenschen und sehr viel Alltagserfahrung. Dazu kommt alltagspraktisches Wissen – wie man eine Steuererklärung ausfüllt, geschickt mit Bankangestellten verhandelt, einen Wasserhahn montiert und ähnliches. Wer dieses Wissen hat, ist jedem überlegen, der durch Nachdenken und Ausprobieren erst Lösungen dafür finden muß. Versuche, aufgrund des Intelligenzquotienten Voraussagen über den Schulabschluß oder spätere berufliche Erfolge zu machen, hatten deshalb immer nur eine geringe Treffenquote.

2. Intelligenz ist nicht Kreativität. Ein Hauptfaktor schöpferischen Handelns ist Originalität. Für die Intelligenz steht nicht so sehr die Neuartigkeit im Vordergrund, sondern eher die Frage, ob die gefundene Lösung das Problem angemessen meistert. Das wiederum ist für Kreativität eher zweitrangig. Intelligenz zergliedert und analysiert, Kreativität fügt zusammen und synthetisiert. Nicht nur in der Kunst, sondern auch in der Wissenschaft sind die kreativsten Menschen nicht unbedingt die intelligentesten. Umgekehrt sind viele Leute mit einem hohen Intelligenz-quotienten nicht durch sonderlich kreative Leistungen aufgefallen.

3. Intelligenz ist weder Fleiß, noch Motivation, Disziplin oder Konzentrationsfähigkeit. All diese Willensqualitäten sind für geistige Leistungen unerläßlich, aber sie müssen zur Intelligenz hinzukommen, damit der Einzelne seine Denkbegabung nutzen kann. Deshalb ist es in der Realität häufiger, daß ein fleißiger Mensch mit nur durchschnittlicher Intelligenz einen hervorragenden Studienabschluß hinlegt und sich später an die Spitze eines Arbeitsteams hocharbeitet, als daß ein intelligenter Mensch, der sich nur gelegentlich anstrengt, Lorbeeren erntet.

Fest steht auch, daß Intelligenz nicht ein für allemal gegeben ist. Erziehungseinflüsse und eine stimulierende oder hemmende Umwelt verändern die Begabung. Das bewies vor vielen Jahren ein berühmtes Experiment. Lehrern wurde eine Schulklasse zugewiesen, deren Schüler sie nicht kannten. Als einzige Vorinformation erhielten sie eine Liste der Schüler, auf der die jeweiligen Intelligenzquotienten vermerkt waren. Was die Lehrer nicht wußten: die angegebenen Intelligenzquotienten waren frei erfunden. Das erstaunliche Resultat nach einem halben Jahr Schulunterricht: die Zensuren entsprachen in etwa den angeblichen Intelligenzquotienten auf der Liste, nicht der tatsächlichen Denkbegabung.

Das heißt, der Lehrer hatte unbewußt ein Kind, das er aufgrund seiner Vorinformationen für besonders intelligent halten mußte, wie ein besonders intelligentes Kind behandelt – mit dem Resultat, daß es in der Tat bessere Zensuren erhielt als vorher. Kluge Kinder, die dem Lehrer als weniger intelligent vorgestellt wurden, fielen dagegen in ihren Leistungen zurück.

Daraus sollte niemand den Schluß ziehen, das Begabungsunterschiede allein auf Einbildung beruhen. Aber das Experiment zeigt, daß zumindest im Kindesalter Erziehung an den natürlichen Voraussetzungen einiges zu ändern vermag.

In den letzten Jahren haben Versuche, den klassischen Intelligenzbegriff auszuweiten, viel Aufmerksamkeit in den Medien gewonnen. Das Buch „Emotionale Intelligenz" von Goleman wurde ein Bestseller. Bald folgten Werke über Erfolgs-Intelligenz oder Beziehungs-Intelligenz. Man spricht inzwischen von räumlicher Intelligenz (bildende Künstler), Bewegungs-Intelligenz (Sportler, Tänzer), musikalischer Intelligenz – sogar der Fähigkeit zur Selbsterkenntnis (intrapersonale Intelligenz) und der Organisation zeitlicher Abläufe (temporale Intelligenz) wurden eigene Intelligenzformen zugewiesen.

Das zeigt, daß auch andere Begabungen höchst ungleich verteilt sind, durch Übung und Erfahrung geschult werden können und daß ihre Stärke prinzipiell getestet werden kann.

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