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Neid
Vom Nutzen eines bösen Gefühls


Ausgabe Juli/August/September 2001/ 4. Jahrgang
 

Nach dem Hab und Gut seines Nächsten trachten, angesichts der Erfolge mancher Glückspilze sich benachteiligt fühlen - Neid ist eines der letzten großen Tabus unserer sonst sehr freizügigen Gesellschaft. Jeder kennt Neidgefühle, aber kaum jemand spricht darüber. Wir tun es.
 

Das Leben ist ungerecht:

  • Einer hat jahrelang teure Musikstunden bezahlt und es auf seinem Instrument zu einer gewissen Perfektion gebracht und muß zusehen, wie jemand, der kaum Noten lesen kann, als Popstar Millionen verdient.
  • Eine junge Frau ist nett, gebildet und kann kochen wie ein Weltmeister und muß erleben, wie die Schulabbrecherin aus dem Nebenhaus mit ein bißchen Hüftewackeln und gespielter Hilflosigkeit den tollen Typen aus dem Rechtsanwaltsbüro abschleppt.
  • Das Ehepaar, das wegen seines unerfüllten Kinderwunsches eine Odyssee durch Dutzende Arztpraxen und Kliniken hinter sich hat, muß zähneknirschend mit anhören, wie der junge Mann am Nebentisch im Restaurant sich bei seinen Kumpels beklagt, daß er Probleme hat, seine Neue zur Abtreibung zu überreden.

In Talkshows sprechen Leute heutzutage offen über ihren Exhibitionismus, ihre Drogenkarriere oder warum sie ihre Partnerin verprügeln oder sich von ihr verprügeln lassen. Auch Themen wie "Meine Tochter hat mir den Mann weggenommen" sind längst Routine - die betroffenen Mütter beklagen den Vertrauensbruch, keine gibt zu, daß sie ihre Tochter um ihre Jugend und Unbekümmertheit beneidet. Neidisch zu sein gilt als böse, als giftig ("grün vor Neid"), bestenfalls als Zeichen von Schwäche.

Jeder von uns kennt Neidgefühle. Mit dem wachsenden Wohlstand sind die Gründe für Neid keineswegs geringer geworden. Beneidete man früher Menschen, die sich jederzeit satt essen konnten, gilt heute der Neid denjenigen, die angesichts aller Leckereien schlank bleiben.

Glücklich, wer neidische Gefühle überwindet und zu einer großzügigen Haltung findet, wer trotz eigener Mühen und Mißerfolge anderen ihre leicht errungenen Siege gönnt. Viel häufiger freilich maskiert sich der Neid hinter Sätzen wie

  • "Wer so aussieht wie sie ..."
  • "Ihr Alter hat das für sie gedeichselt."
  • "Er muß blind sein. Keine Ahnung, was er an ihr findet."
  • "Warten wir es ab. Sie wird es noch bereuen, sich darauf eingelassen zu haben."
  • "Mit ihr tauschen? Nie im Leben."
  • "Soll sie. Mir ist es völlig egal."
  • "Schade. Er hat sich verändert, nicht zum Guten."
  • "Boris Becker und Babs galten auch mal als Traumpaar."

Wird der Neid verdrängt, frißt er entweder im Inneren weiter oder führt irgendwann zur Resignation wegen der Ungerechtigkeit des Lebens. Gesünder ist es, sich seine Gefühle einzugestehen und für sich nutzbar zu machen. Der beneidete Erfolg eines anderen verrät uns etwas über unsere eigenen Wünsche und Sehnsüchte. Denn nicht jeden Erfolg beneiden wir. Die junge Ehefrau beneidet ihre Freundin um ihr süßes Baby - was aber deren wohlhabenden Ehemann betrifft, der arbeitssüchtig und nie zu Hause ist, würde sie nicht mit ihr tauschen wollen. Eine Hobbyschneiderin beneidet eine bekannte Modeschöpferin um ihre tollen Entwürfe. Daß die Profifrau damit aber einen Haufen Geld verdient und Journalisten ihr die Bude einrennen, läßt sie gleichgültig.

Zuerst gilt es also herauszufinden, welchen Aspekt des Erfolges anderer wir uns wünschen. Die Tätigkeit? Die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit? Das Geld? Den Neid anderer (und damit den Erfolg an sich)?

Als nächstes leiten sie Ihr eigenes Ziel ab. Wollen Sie exakt dasselbe wie die beneidete Person? Bloßes Nachahmen führt meist in eine Sackgasse. Imitatoren werden selten so erfolgreich wie die Originale. Stellen Sie auch die Unterschiede in den Charakteren und Lebensläufen in Rechnung.

Statt am Neid zu knabbern, betrachten Sie die Person, an deren Stellen Sie gern wären, als Vorbild. Auch wenn Sie meinen, der Erfolg wäre ihr unverdient zugefallen. Versuchen Sie so genau wie möglich herauszufinden, wie sie ihr Glück errungen hat. Wenn möglich, indem sie ihr zum Erfolg gratulieren und sich erzählen lassen, wie sie es geschafft hat. Wenn sie jemanden um seine tolle, preisgünstige Wohnung beneiden, lassen Sie sich erzählen, wie er sie gefunden und gemietet hat. Wenn jemand Ihren Traumjob hat, erkundigen sie sich nach seinen Bewerbungsstrategien und seinen Kontakten. Keine Angst vor dem Eingeständnis "Ich beneide dich um deinen Erfolg." Es klingt für den anderen nach Bewunderung.

Selbst wenn Sie nicht soviel Erfolg haben werden wie die beneidete Person: Zielgerichtete Aktivität verringert den Neid, statt ihn hoffnungslos zu vergrößern. Je mehr wir die Umstände kennenlernen, die mit dem Erringen eines Sieges verbunden sind, desto realistischer werden wir im Einschätzen des Für und Wider. Starker Neid lebt von der Überschätzung des Schönen, das mit einem beneideten Gut einher geht, und von der Unterschätzung der Lasten, die der Erfolg mit sich bringt. Von Oscar Wilde stammt der Spruch, nur eins sei schlimmer als unerfüllte Träume: seine Träume Realität werden zu sehen.

Wilde meinte damit ein Phänomen, das sich erst im Angesicht des Sieges zeigt: daß das Erlangen des Spitzenjobs, der ersten Million oder des Traummannes keineswegs alle Probleme beseitigt, mit denen man sich bisher herumschlug. Durch bloßen Neid aus der Ferne werden wir nie herausfinden, ob das auch für unsere Träume zutrifft. Die beste Therapie gegen giftige Gefühle bleibt daher das Erkunden der eigenen Wünsche und das Bemühen, sie zu verwirklichen.

 

 

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