- Die Sonne scheint, die
Temperaturen werden wärmer, die Kleidung
luftiger. Ringsumher grünt und blüht es. Nicht
nur bunte Blüten erfreuen das Auge, sondern auch
die wachsende Zahl der Liebespärchen, die ihre
Zuneigung vor aller Augen zeigen. Was ist dran an
der Behauptung, daß unsere Triebe im Frühling
heißer sind als im Winter?
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- Minnesänger und romantische Dichter hegten
nie den geringsten Zweifel. Der Frühling ist eine gefühlsfördernde
Jahreszeit. Frühling läßt sein blaues Band wieder
flattern durch die Lüfte süße, wohlbekannte Düfte streifen
ahnungsvoll das Land lernten unsere Großeltern
in der Schule auswendig.
- Alles nur Einbildung, poetische Phantasie?
Keineswegs, sagen uns die Verhaltensforscher und Endokrinologen,
die Spezialisten für Hormone und Nervenbotenstoffe. Das
Zeitalter der Biologie der Frühlingsgefühle begann in den
fünfziger Jahren, als Mark Altschule von der Harvard-University
und sein Kollege Julian Kay erstmals gründlich die Funktion
der Zirbeldrüse, einem kleinen Organ zwischen den beiden
Hirnhälften, untersuchten. Der Philosoph René Descartes
hatte sie wegen ihrer Lage im Gehirn für den Sitz der Seele
gehalten. Dreihundert Jahre kamen keine neuen Erkenntnisse
dazu. Altschule und Kay erkannten nach Auswertung von über
1800 Studien, daß sie an mindestens drei Körperfunktionen
beteiligt ist:
- der Hautpigmentierung
- der Genitalfunktion von Männern und Frauen
- an der Steuerung der Hirntätigkeit.
- Etwa zur gleichen Zeit fand der Dermatologe
Aaron Lerner von der Yale-University ein Hormon der Zirbeldrüse,
das Melatonin, das Einfluß auf die Hautpigmentierung hat.
Es dauerte noch einige Jahre, bis man herausfand, daß der
Körper dieses Hormon ausschließlich bei Dunkelheit produziert.
Sobald sich die Sonne über dem Horizont erhebt, erlischt
die Melatoninerzeugung.
- Es scheint, daß das Melatonin Veränderung
von Licht und Dunkel in körpereigene Prozesse überträgt,
also die innere biologische Uhr über die äußeren Zeitabläufe
informiert und dadurch eine Abstimmung Außen und Innen erlaubt.
- Melatonin hemmt außerdem geschlechtliche
Prozesse. Das bedeutet, zunehmendes Licht (also abnehmendes
Melatonin) regt die sexuelle Begehrlichkeit an, zunehmende
Dunkelheit schwächt sie ab.
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- Da die Nächte im Winterhalbjahr
länger sind als im Sommer, ist im Winter der
nachweisbare Melatoninspiegel höher als im
Sommer. Im Frühling, wenn die Tage wieder
länger und die Nächte kürzer werden, steigt
deshalb die sexuelle Erregbarkeit an. Wir
bekommen Frühlingsgefühle. Evolutionsbiologen
vermuten, daß dies eine Überbleibsel des
geschlechtlichen Jahreszyklus darstellt, wie wir
ihn bei vielen Tierarten finden. Im Frühjahr
werden nach Ende der Frostperiode die
Umweltbedingungen für Fortpflanzung und
Jungenaufzucht günstig. Der Melatoninspiegel im
Blut sinkt, die Geschlechtsorgane treten wieder
in Funktion, die Zeit der Paarung und des
Brütens beginnt.
- Heißt dies nun, daß wir Sklaven
eines Hormons sind, wenn uns im Frühling die
Liebessehnsucht packt? Zum Glück nicht. Wir
können der erwachenden Spannung nachgeben, wir
können unsere Energie auf andere Betätigungen
lenken, wir können die Gefühle auch
unterdrücken.
- Die Existenz des Melatonins
beweist nur, daß alles, was in unserem Geist
geschieht, eine körperliche Grundlage hat. Wer
noch glauben sollte, daß die Seele sich um das
biochemische Geschehen nicht schert, braucht sich
nur einmal einen Vollrausch anzutrinken, um sich
vom Gegenteil zu überzeugen.
- Das Melatonin sorgt für eine
gesteigerte Bereitschaft, sich durch das andere
Geschlecht beeindrucken zu lassen mehr
nicht. Wenn es erst einmal gefunkt hat, treten
andere Verhaltensbereiche in Funktion. Auch sie
werden durch Hormone gesteuert. Da sind erst
einmal die Sexualhormone, die verrückt spielen.
Sie lassen uns die Vertreter des andere
Geschlechtes attraktiver erscheinen, als sie bei
nüchterner Betrachtung wären.
- Für die enthusiastischen
Gefühle, wenn wir uns verlieben, sind jedoch
Nervenbotenstoffe, die sogenannten
Neurotransmitter, verantwortlich:
- Dopamin macht Liebe rauschhaft,
besessen, aufgeregt und begünstigt die Fixierung
auf eine Person.
- Serotonin. Es ist chemisch mit dem
Melatonin eng verwandt. Es wirkt wie ein
Rauschmittel. Das bedeutet auch: bei mehrmaligem
Partnerwechsel tritt Gewöhnung ein, so daß
stärkere Dosen und Reize nötig werden, um die
Erregung unbedingten Verliebtseins zu erreichen.
- Endorphine erzeugen das
Glücksgefühl, eine Hochstimmung, wie sie auch
Marathonläufer kennen.
- Wie kommt es jedoch, daß wir auf
eine bestimmte Person unser Auge werfen und die
übrigen ignorieren? Männer wie Frauen tragen
ein inneres Partnermuster in sich. Es setzt sich
aus Vorlieben, Abneigungen und vergangenen
Erfahrungen zusammen. Es wird von frühen
Kindheitsmustern ebenso wie von aktuellen Moden
beeinflußt. Eine nicht zu unterschätzende Rolle
spielen dabei Ort, Zeit und Gelegenheit. Jemand,
den wir eigentlich übersehen hätten, kann auf
den zweiten oder dritten Blick unser Herz
erobern, weil er oder sie einfach zu einem Moment
zur Stelle war, als wir bereit waren, uns zu
verlieben. (Siehe dazu auch unseren Beitrag
Weshalb gerade sie? Warum gerade er? Die
Geheimnisse unserer Partnerwahl in EGONet
Juli/August 1998).
- Haben wir uns aber erst einmal
für eine Person entschieden, sorgt das
Kuschel-Hormon Oxytocin für eine Vertiefung der
Bindung. Sexuelle Betätigung regt die
Hirnanhangdrüse (Hypophyse, kirschkerngroßes
Organ an der Schädelbasis), vermehrt Oxytocin zu
erzeugen. Gelangt genug davon in den
Blutkreislauf, fühlen wir uns zufrieden. Das
Hormon ist für ruhige Empfindungen wie
Sicherheit, Vertrauen und Geborgenheit
verantwortlich.
- Hautkontakt fördert die
Oxytocinproduktion. Schmusemangel macht uns daher
unzufrieden und verleitet uns, woanders
Befriedigung zu suchen.
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