EGONET.de
Ausgabe 04/1999
Schokolade
Die süße Verführung

Osterhasenzeit. Naschzeit. Ein Biß, und der Hasenkopf ist weg. Süße Schokolade schmilzt auf der Zunge, füllt den Mund mit köstlichen Aromastoffen und macht süchtig nach mehr. Das Wichtigste über Kakao und Schokolade und ihre Auswirkungen auf Körper und Seele – unser Ostergeschenk für Sie von EGONet.
Annähernd achteinhalb Kilo gönnt sich der Deutsche im Durchschnitt jedes Jahr von der süßen Versuchung. (Bei den Schweizern sind es sogar elf Kilo.) Ihren Ursprung fand sie in Mittelamerika. Dort wächst im Urwald ein unauffälliger Strauch, der von Mücken bestäubt wird. Der Geschmack der rohen Früchte liegt irgendwo zwischen sauer und gallebitter. Zuerst soll der Kakaobaum vor etwa dreitausend Jahren am Golf von Mexiko kultiviert worden sein. „Cacahuaquchtl“ – Götterbaum nannten ihn die Ureinwohner. Davon leitet sich das Wort Kakao ab. Sie entdeckten, daß sich aus dem Extrakt der Früchte einen sinnenanregendes Getränk herstellen läßt. Eine Mischung von Kakao und Pfeffer verwendeten sie als Liebestrank. Es schmeckte bitter und scharf zugleich – ungewohnt für unsere Zungen.
Die Kakaokultur breitete sich in Mittelamerika aus, und so waren es die Azteken, die 1502 Christoph Kolumbus Kakaobohnen als Zahlungsmittel anboten. Als er mißtrauisch dieses seltsame Geld zurückwies, erklärte ihm die Überbringer, daß sich daraus ein besonderes Getränk brauen lasse, daß Mut und sexuelle Potenz steigere. Kolumbus kostete das bittere Gebräu und entschloß sich schließlich eine Probe als exotisches Kuriosum an den spanischen Hof mitzunehmen.
Nonnen entdeckten die Möglichkeit, den Kakao durch Zucker und Gewürze wie Nelken und Zimt zu verfeinern. Die ersten Schokoladenfabriken entstanden nach 1600 in Frankreich, aber die Produkte, die wir unter diesem Namen kennen sind neuere Datums. 1845 baute der Schweizer Philippe Suchard die erste Schokoladen­mischmaschine, die Grundlage seines erfolgreichen Konzerns. Rodolphe Lindt erfand 1879 die erste Schokolade, die auf der Zunge schmilzt. Henri Nestlé erfand das Milchpulver, woraus vor genau 100 Jahren der erste Milchschokoladenriegel gemixt wurde.
Heute gibt es unzählige Sorten. Bei den meisten Produkten spielt neben der braunen Kakaomasse helle Kakaobutter und Milch eine entscheidende Rolle.
Bitterschokolade verzichtet auf die Milch. Weiße Schokolade enthält keine Kakaomasse, wohl aber Kakaobutter.
Der Fett- und damit Energiegehalt ist enorm.
Sie können es selbst testen. Nehmen Sie ein Stück Vollmilchschokolade und halten Sie Ihr Feuerzeug daran. Nach fünf bis zehn Sekunden hat sich die Schokolade entzündet und brennt. Kein Wunder, daß 100 Gramm Vollmilchschokolade mehr als fünfhundert Kilokalorien enthält. Zum Vergleich: eine nicht allzu reichliche warme Mahlzeit (zum Beispiel 200 Gramm Lachs mit Gemüsebeilage) enthält die gleiche Kalorienmenge.
Schokolade kann süchtig machen. Nach einer amerikanischen Befragung erklären sich 39 Prozent der Frauen, aber nur 15 Prozent der Männer für schokoladensüchtig. Paul Rozan von der Universität Pennsylvania ließ seine Versuchspersonen Tagebuch führen und fand heraus: Die Ursache für den Geschlechtsunterschied liegt in den hormonellen Vorgängen während der Menstruation. Das weibliche Hormon Östrogen verstärkt die stimmungsaufhellende Wirkung der Schokolade. Rechnet man jene Tage aus der Statistik heraus, gleichen sich Männer und Frauen an. Doch auch dann bleibt die Schokomanie ein auffällig häufiges Phänomen von geradezu triebhaftem Charakter, bei dem die Geschmacksnerven die Vernunft ausschalten.
Während Anfalls von Heißhunger nach Schokolade verschlingen manche mehrere Tafeln auf einen Streich. Solche Attacken überfallen einen hauptsächlich nach Feierabend. Anfangs nimmt man sich vor: Nur ein Stück, nicht mehr, allerhöchstens zwei. Aber dann schmeckt es so gut ... Im Nu ist die Tafel alle und die nächste angefangen.
Der Grund für solche Exzesse? Wichtige seelische Bedürfnisse werden nicht erfüllt oder fordern einen hohen Aufwand. Zum Beispiel die Anerkennung und die Tröstungen, die man in Gesprächen mit guten Freunden gewinnt. Oder eine erfüllende Partnerschaft. Die Wege zu seelischer Erfüllung sind mühsam, von Enttäuschungen gekennzeichnet und mit vielen Enttäuschungen verbunden.
Wer dann entdeckt, daß der seelische Kick, ein wohliges Hochgefühl zuverlässig und ohne viel Aufwand mit einer Süßigkeit erzielt werden kann, wird leicht ein Opfer der süßen Kalorienbomben. Die Hälfte aller Frauen zieht Schokolade dem Sex vor.
Woher kommt die anziehende Wirkung der Schokolade? Der angenehme Geschmack ist das eine. Sie enthält jedoch zusätzlich winzige Mengen eines mit dem Marihuana verwandten Wirkstoffes namens Anandamid, außerdem anregende Alkaloide wie Koffein und Theobromin. Die Kakaobutter und die Glukose – die in der Schokolade enthaltene Form des Zuckers – regen im Gehirn die Produktion von Endorphinen an. Das sind körpereigene Nervenbotenstoffe, sogenannte Glückshormone, die euphorische Gefühle auslösen. Die gekoppelte Wirkung dieser Chemikalien verwandelt einen grauen Alltag in eine gelöste tröstliche Feierabendstimmung.
Wer einmal diesen angenehmen Stimmungsumschwung erlebt hat, kann leicht auf die Idee kommen, beim nächsten Anfall von schlechter Laune wieder zu diesem preiswerten Stimmungsaufheller zu greifen. Schnell wird daraus eine Gewohnheit. Mit der Zeit läßt die euphorische Wirkung infolge der Gewöhnung nach, aber die Kalorien tun ihre Wirkung. Der Blick in den Spiegel, der unbarmherzig die Fettpolster preisgibt, wird dann eine neue, zusätzliche Quelle von Frust.
Wem es jedoch gelingt, maßvoll zu genießen, wird ohne schlechtes Gewissen in seinen Osterhasen beißen dürfen. Nach Schokoladentagen wieder Wochen der Enthaltsamkeit folgen lassen – um so größer wird der Genuß bei der nächsten Schokoorgie sein: zum Geburtstag, am Nikolaustag, zu Weihnachten.

Die häufigsten Irrtümer über die Wirkung von Schokolade:

Schokolade begünstigt Karies und schädigt daher die Zähne: New Yorker Forscher fanden heraus: Am gefährlichsten für die Zähne sind reiner Zucker und gekochte Stärke. Zucker ist in Bonbons, Stärke in Kartoffelchips massenhaft vorhanden. Schokolade mit wenig Zucker – also vor allem Zartbitterschokolade – kann den Zähnen kaum gefährlich werden.
Schokolade verursacht Kopfschmerzen, Migräne und Verstopfung: Das ist alles wissenschaftlich geprüft und widerlegt worden.
Schokolade ist sehr ungesund, denn sie enthält viel Fett und wenig Ballaststoffe. Die Kakaobutter, die viel Stearinsäure enthält, läßt nach heutigen Erkenntnissen den Cholesterinspiegel nicht steigen. Allerdings macht sie dick wegen des hohen Kaloriengehaltes. Über wieviel Ballaststoffe Schokolade verfügt, hängt vom Kakaogehalt ab. Reiner Kakao enthält genauso viel Ballaststoffe wie die gleiche Menge Vollkornbrot.
 
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