EGONET.de
Ausgabe 04/1999
Frühlingsgefühle
Wenn die Hormone Hochsaison haben

Die Sonne scheint, die Temperaturen werden wärmer, die Kleidung luftiger. Ringsumher grünt und blüht es. Nicht nur bunte Blüten erfreuen das Auge, sondern auch die wachsende Zahl der Liebespärchen, die ihre Zuneigung vor aller Augen zeigen. Was ist dran an der Behauptung, daß unsere Triebe im Frühling heißer sind als im Winter?
Minnesänger und romantische Dichter hegten nie den geringsten Zweifel. Der Frühling ist eine gefühlsfördernde Jahreszeit. „Frühling läßt sein blaues Band wieder flattern durch die Lüfte süße, wohlbekannte Düfte streifen ahnungsvoll das Land“ – lernten unsere Großeltern in der Schule auswendig.
Alles nur Einbildung, poetische Phantasie? Keineswegs, sagen uns die Verhaltensforscher und Endokrinologen, die Spezialisten für Hormone und Nervenbotenstoffe. Das Zeitalter der Biologie der Frühlingsgefühle begann in den fünfziger Jahren, als Mark Altschule von der Harvard-University und sein Kollege Julian Kay erstmals gründlich die Funktion der Zirbeldrüse, einem kleinen Organ zwischen den beiden Hirnhälften, untersuchten. Der Philosoph René Descartes hatte sie wegen ihrer Lage im Gehirn für den Sitz der Seele gehalten. Dreihundert Jahre kamen keine neuen Erkenntnisse dazu. Altschule und Kay erkannten nach Auswertung von über 1800 Studien, daß sie an mindestens drei Körperfunktionen beteiligt ist:
  • der Hautpigmentierung
  • der Genitalfunktion von Männern und Frauen
  • an der Steuerung der Hirntätigkeit.
Etwa zur gleichen Zeit fand der Dermatologe Aaron Lerner von der Yale-University ein Hormon der Zirbeldrüse, das Melatonin, das Einfluß auf die Hautpigmentierung hat. Es dauerte noch einige Jahre, bis man herausfand, daß der Körper dieses Hormon ausschließlich bei Dunkelheit produziert. Sobald sich die Sonne über dem Horizont erhebt, erlischt die Melatoninerzeugung.
Es scheint, daß das Melatonin Veränderung von Licht und Dunkel in körpereigene Prozesse überträgt, also die innere biologische Uhr über die äußeren Zeitabläufe informiert und dadurch eine Abstimmung Außen und Innen erlaubt.
Melatonin hemmt außerdem geschlechtliche Prozesse. Das bedeutet, zunehmendes Licht (also abnehmendes Melatonin) regt die sexuelle Begehrlichkeit an, zunehmende Dunkelheit schwächt sie ab.
 
Da die Nächte im Winterhalbjahr länger sind als im Sommer, ist im Winter der nachweisbare Melatoninspiegel höher als im Sommer. Im Frühling, wenn die Tage wieder länger und die Nächte kürzer werden, steigt deshalb die sexuelle Erregbarkeit an. Wir bekommen Frühlingsgefühle. Evolutionsbiologen vermuten, daß dies eine Überbleibsel des geschlechtlichen Jahreszyklus darstellt, wie wir ihn bei vielen Tierarten finden. Im Frühjahr werden nach Ende der Frostperiode die Umweltbedingungen für Fortpflanzung und Jungenaufzucht günstig. Der Melatoninspiegel im Blut sinkt, die Geschlechtsorgane treten wieder in Funktion, die Zeit der Paarung und des Brütens beginnt.
Heißt dies nun, daß wir Sklaven eines Hormons sind, wenn uns im Frühling die Liebessehnsucht packt? Zum Glück nicht. Wir können der erwachenden Spannung nachgeben, wir können unsere Energie auf andere Betätigungen lenken, wir können die Gefühle auch unterdrücken.
Die Existenz des Melatonins beweist nur, daß alles, was in unserem Geist geschieht, eine körperliche Grundlage hat. Wer noch glauben sollte, daß die Seele sich um das biochemische Geschehen nicht schert, braucht sich nur einmal einen Vollrausch anzutrinken, um sich vom Gegenteil zu überzeugen.
Das Melatonin sorgt für eine gesteigerte Bereitschaft, sich durch das andere Geschlecht beeindrucken zu lassen – mehr nicht. Wenn es erst einmal gefunkt hat, treten andere Verhaltensbereiche in Funktion. Auch sie werden durch Hormone gesteuert. Da sind erst einmal die Sexualhormone, die verrückt spielen. Sie lassen uns die Vertreter des andere Geschlechtes attraktiver erscheinen, als sie bei nüchterner Betrachtung wären.
Für die enthusiastischen Gefühle, wenn wir uns verlieben, sind jedoch Nervenbotenstoffe, die sogenannten Neurotransmitter, verantwortlich:
  • Dopamin macht Liebe rauschhaft, besessen, aufgeregt und begünstigt die Fixierung auf eine Person.
  • Serotonin. Es ist chemisch mit dem Melatonin eng verwandt. Es wirkt wie ein Rauschmittel. Das bedeutet auch: bei mehrmaligem Partnerwechsel tritt Gewöhnung ein, so daß stärkere Dosen und Reize nötig werden, um die Erregung unbedingten Verliebtseins zu erreichen.
  • Endorphine erzeugen das Glücksgefühl, eine Hochstimmung, wie sie auch Marathonläufer kennen.
Wie kommt es jedoch, daß wir auf eine bestimmte Person unser Auge werfen und die übrigen ignorieren? Männer wie Frauen tragen ein inneres Partnermuster in sich. Es setzt sich aus Vorlieben, Abneigungen und vergangenen Erfahrungen zusammen. Es wird von frühen Kindheitsmustern ebenso wie von aktuellen Moden beeinflußt. Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen dabei Ort, Zeit und Gelegenheit. Jemand, den wir eigentlich übersehen hätten, kann auf den zweiten oder dritten Blick unser Herz erobern, weil er oder sie einfach zu einem Moment zur Stelle war, als wir bereit waren, uns zu verlieben. (Siehe dazu auch unseren Beitrag „Weshalb gerade sie? Warum gerade er? Die Geheimnisse unserer Partnerwahl“ in EGONet Juli/August 1998).
Haben wir uns aber erst einmal für eine Person entschieden, sorgt das Kuschel-Hormon Oxytocin für eine Vertiefung der Bindung. Sexuelle Betätigung regt die Hirnanhangdrüse (Hypophyse, kirschkerngroßes Organ an der Schädelbasis), vermehrt Oxytocin zu erzeugen. Gelangt genug davon in den Blutkreislauf, fühlen wir uns zufrieden. Das Hormon ist für ruhige Empfindungen wie Sicherheit, Vertrauen und Geborgenheit verantwortlich.
Hautkontakt fördert die Oxytocinproduktion. Schmusemangel macht uns daher unzufrieden und verleitet uns, woanders Befriedigung zu suchen.
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