EGONET.de
Ausgabe 6/1999
Unser Titelthema:
Gute Nacht und süßen Schlummer!
Was die Schlafforschung über eine erholsame Nachtruhe herausgefunden hat

Ruhigen, ungestörten Schlaf, wer wünscht sich das nicht? Dennoch wälzen sich Millionen Nacht für Nacht unruhig in den Betten und fühlen sich am Morgen unausgeruht. EGONet widmet diesem Thema einen zweiteiligen Beitrag. Heute, im ersten Teil, erfahren Sie, wovon ein gesunder Schlaf abhängt.
 
 
Gehen Sie abends entspannt zu Bett und sind nach wenigen Minuten eingeschlafen? Schlafen Sie in einem Zug durch und wachen am nächsten Morgen ausgeruht und erfrischt auf? Plötzliches Hochschrecken in der Nacht und längeres Wachliegen einerseits, längere Müdigkeitsattacken am Tag und das Gefühl generell unausgeschlafen zu sein andererseits sind Ihnen unbekannt? Herzlichen Glückwunsch! Sie gehören zu einer von vielen beneideten Minderheit. Sie werden dieses Kapitel amüsiert als allgemeine Information darüber lesen, was in Ihnen vorgeht, wenn Sie schlafen und sich freuen, daß Ihr Körper auch ohne Ihr kontrollierendes Tagesbewußtsein diese Stunden problemlos bewältigt und zu seiner Erholung nutzt.

Die meisten von uns kennen indes zumindest gelegentliche Schlafstörungen. Glücklich, wen dieses Schicksal nur selten trifft und solche Ausnahmenächte auf Wetterumschwünge, Ärger, schweres Essen am Vorabend oder den Jet-lag als Folge eines Kontinentalfluges zurückführen kann.

Doch beinahe jeder zweite klagt, daß er es nicht schafft, sich in der Nacht so zu erholen, daß er morgens munter und voll Elan aus den Federn springt. Ein Drittel der Mitteleuropäer fühlt sich tagsüber müde und würde gern nachts länger schlafen können. Immerhin jeder vierte hat Einschlafschwierigkeiten und wacht in der Nacht grundlos wieder auf. Zehn Prozent leiden unter so extremen Schlafstörungen, daß ihre Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen, erheblich eingeschränkt ist. Sie benötigen ärztliche Hilfe. Zehn Prozent, das klingt nach einer Minderheit. Doch wenn man sich klar macht, daß sich dahinter allein in Deutschland acht Millionen Einzelschicksale verbergen, erkennt man, daß es sich um eine Volkskrankheit von epidemischen Ausmaßen handelt. Unfälle, die infolge von zuwenig Schlaf verursacht werden, hinterlassen jedes Jahr Schäden von etwa zwanzig Milliarden Mark – ganz zu schweigen von zahlreichen Verkehrstoten und -verletzten. Statistiker der HUK-Versicherung fanden heraus, daß das kurze Einnicken am Steuer die häufigste Todesursache auf Autobahnen darstellt.

Menschen mit Schlafproblemen hat es zu allen Zeiten gegeben, aber den Charakter einer Massenkrankheit erreichte das Phänomen erst in den letzten hundert Jahren. Kein Wunder: Das Leben in beleuchteten Großstädten, abgekoppelt vom natürlichen Hell-Dunkel-Rhythmus infolge der Erfindung elektrischer Lampen, entwickelte sich erst im zwanzigsten Jahrhundert zur Normalität. Den Luxus dauernder Kerzen-, Petroleum- oder Gasbeleuchtung konnten sich davor nur wenige Wohlhabende leisten. Für die übrigen galt: Wer am Tag schwer arbeitete und bei Einbruch der Dunkelheit alle Aktivitäten infolge Lichtmangels einstellen mußte, lebte im Einklang mit seiner inneren biologischen Uhr und kannte keine Schlafprobleme.

Bis Ende des neunzehnten Jahrhunderts war Feuer die einzige Quelle des Lichts: Lagerfeuer, Fackeln, Fett- und Öllampen, Kerzen, schließlich Gaslaternen. Das Feuer verbreitete ein eher schwaches, dämmriges Licht, das kaum zum Lesen geeignet war und unauf­hörlich teures Brennmaterial und Sauerstoff verbrauchte. Der Verbrennungs­vorgang sonderte Rauch, Gerüche und Ruß ab, hinterließe seine Spuren auf den Wände, in der Kleidung und in den Möbeln. Das Feuer mußte ständig bewacht und erneuert werden. Wenn es erlosch, gab es Probleme mit dem Wiederanzünden. Verläßliche Zündhölzer erfand erst das neunzehnte Jahrhundert.

Dunkelheit galt schon immer als Quelle der finsteren Mächte (man beachte die Doppelbedeutung des Wortes „finster“), des Bösen, Gefährlichen, Angsterregenden. Gespenster hatten ihre Stunde in der Zeit nach Mitternacht. Vampire und andere Untote verloren erst mit Beginn der Morgendämmerung ihre Macht. Das Gute, der Fortschritt und die Zivilisation assoziierten die Menschen mit Helligkeit. Gott sprach „Es werde Licht!“ und leitete damit seine Schöpfung ein.

Man kann sich heute kaum noch einen Begriff davon machen, mit welchem Enthusiasmus Edisons Erfindung der Glühbirne (1879) als Anbruch eines neuen Zeitalters gefeiert wurde. Daß sich die Industrie auf die neue Profitquelle stürzte, wird kaum verwundern. Doch auch Lenin, der Führer der kommunistischen Revolution, verkündete: „Kommunismus, das ist Sowjetmacht plus Elektri­fizierung des ganzen Landes.“ Über die Nebenwirkungen – Hektik, Streß, Ausbreitung der Schichtarbeit, Ausdehnung der Abendstunden bis tief in die Nacht, gestörter, verringerter Schlaf von Millionen – machte sich kaum jemand Gedanken. Der Erfinder der Glühlampe selbst war ein ausgesprochener Kurzschläfer. Für Thomas Alva Edison galt Schlafen als Zeitverschwendung. Menschen, die viel schliefen, seien Narren. Für ihn waren acht Stunden Bettruhe eine Art Fettsucht: „Die meisten Leute essen hundert Prozent mehr als nötig und schlafen hundert Prozent mehr als sie brauchen. Diese hundert Prozent mehr machen sie ungesund und ineffizient.“

Ist es da ein Wunder, daß die Medizin und andere Wissenschaften lange Zeit den Schlaf als ein für die Forschung unergiebiges Gebiet betrachteten. Man glaubte, daß während des Schlafens wenig geschieht. Selbst wenn, so hätte das kaum Einfluß auf das Wohlbefinden am Tage. Diese Auffassung teilte auch der Amerikaner Nathaniel Kleitman, der erste Forscher, der den Schlaf in den Mittelpunkt seiner Arbeit stellte. Er verbrachte mit einem Assistenten mehrere Wochen in einer unterirdischen Höhle bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, um zu untersuchen, ob sich bei Abwesenheit von Tageslicht der Körper auf einen anderen als den üblichen 24-Stunden-Rhythmus einstellt. Ihm selbst gelang die Umstellung nicht, wohl aber seinem Assistenten.

Die entscheidende Entdeckung, die unser Wissen über die bio­logischen Grundlagen des Träumens und Schlafens revolutio­nierte, machte Kleitman nicht selbst, sondern ein junger Doktorand namens Eugene Aserinsky im Jahre 1953 in Kleitmans Labor. Zu jener Zeit wandte Kleitman sein Interesse den langsamen Augenbewegungen zu, die man bei Menschen während des Einschlafens beobachten kann. Er wollte wissen, ob solche Augenbewegungen auch in anderen Phasen des Schlafes auftreten und ob man aus ihnen einen Zusam­menhang zur Schlaftiefe ableiten kann. Er beauftragte Aserinsky mit der Beobachtung. Um sich nicht die Nächte um die Ohren schlagen zu müssen, beobachtete der junge Assistent Säuglinge, die bekanntlich auch am Tag schlafen. Er stellte sehr bald fest, daß bei den Babies nach einiger Zeit die langsamen durch schnelle Augenbewegungen abgelöst werden, wie man sie bei wachen Menschen findet. Er wiederholte seine Untersuchungen an Erwachsenen und holte Kollegen zur Mitarbeit, um sich vergewissern, daß die Personen wirklich schliefen, also nicht deswegen ihre Augen anders bewegten, weil sie aufgewacht waren.

Als Kleitman und Aserinsky schließlich noch entdeckten, daß die Leute, wenn man sie während der schnellen Augenbewegungen weckte, gerade geträumt hatten und detailliert den Inhalt erzählen konnten – und zwar weitaus besser und genauer als bei einer Befragung am nächsten Morgen – war die Sensation perfekt. Da schnelle Augenbewegung auf englisch Rapid Eye Movement heißt, nannten Kleitman und Aserinsky die neu entdeckte Traum­schlafphase abgekürzt REM-Schlaf. Der Artikel in der renommierten Zeitschrift Science, in dem sie 1953 ihre Ergebnisse publizierten, gilt als der Beginn der modernen Schlaf- und Traumforschung.

Seither werden Schlafen und Träumen in modernen Labors untersucht. Man begnügt sich nicht mehr, die Leute nach ihren subjektiven Eindrücken zu befragen, sondern mißt die Hirnströme, den Muskeltonus und die Augapfelbewegungen während des Schlafens. Dabei zeigte sich, daß die Daten, die mit am Kopf befestigten Elektroden erhoben werden, zum Teil erheblich von den Eindrücken abweichen, die die beobachteten Personen selbst von ihrem Schlaf haben.

Die einen sagen: „Ich habe die ganze Nacht kein Augen zugetan!“ In Wahrheit haben sie aber die meiste Zeit geschlafen. Da sie das Wachliegen als langweilig und lästig beurteilen, überschätzen sie die Wachzeiten bei Nacht gewaltig. Die im Schlaf verbrachten Minuten oder Stunden haben sie dagegen nicht bewußt erlebt; sie schrumpfen in ihrer subjektiven Rückschau auf ein Nichts zusammen.

Andere sagen vielleicht: „Ich habe die ganze Nacht geschlafen wie ein Stein!“ Dennoch weisen die Aufzeichnungsgeräte häufigere Wachzeiten nach. Dafür kann es unterschiedliche Gründe geben. Aufmerksam sollte werden, wer meint, er habe die ganze Nacht geschlafen, und sich trotzdem bei Tag müde fühlt und gar immer wieder einnickt.

Sind die im Labor erhobenen Daten überhaupt mit dem „natürlichen“ Schlafen in der häuslichen Umgebung vergleichbar? Kann jemand, der mit einem Haufen mittels Pflaster befestigter Metallteile und Kabeln in einem fremden Zimmer schlafen geschickt wird, überhaupt einschlafen? Noch dazu, wo er sich von einem halben Dutzend aufmerksamer Wissenschaftler in jeder sichtbaren und unsichtbaren Regung beobachtet weiß? Werden die Forscher nicht in erster Linie Schlaflosigkeit beobachten? Erstaunlicherweise ist eher das Gegenteil der Fall. Selbst Menschen, die seit Jahren unter erheblichen Schlafstörungen leiden, können im Labor tief und fest schlafen. Woran liegt das?


  • Ein Großteil der Schlafstörungen sind in häuslicher Umgebung angewöhnt und beruhen auf kleinen „Sünden“ wie Fernsehen bis tief in die Nacht, Alkoholkonsum, Grübeln über private und berufliche Probleme. In der neuen Umgebung fällt all das weg, die Gedanken sind ganz auf das Experiment konzentriert.
  • Die Versuchsperson weiß sich in der Obhut von Ärzten, die bemüht sind zu helfen und für optimale Schlafbedingungen zu sorgen. Dieses Vertrauensverhältnis hält Angstgefühle und Sorgen, die sonst am Einschlafen hindern, fern.
  • Die aufgeklebten Elektroden werden nach einigen Minuten Gewöhnung nicht mehr bemerkt.

Außerdem wurde der Laborschlaf in vielen hundert Fällen mit dem Schlaf in häuslicher Umgebung verglichen. Daher weiß man, daß die Laborbefunde zuverlässig sind. Während man subjektiv oft nicht genau sagen kann, wann eine Person noch wach ist und ab wann sie endgültig schläft – und es sehr leicht fällt, durch regungsloses Liegen mit geschlossenen Augen Schlaf vorzutäuschen – verzeichnen die Meßgeräte die verschiedenen Schlaf- und Wachzustände ganz genau. Bis hin zum Zeitpunkt des Träumens.
Schauen wir uns die Schlafphasen einmal im Überblick an:


  Hirnstromwellen Muskelspannung Augenbewegungen subjektives Erleben
Wachzu­stand Beta-Wellen mit hoher Fre­quenz
(> 15 je sek) und geringer Spannung
hoch, vom Bewußtsein kontrolliert schnell, von rechts nach links bewußtes Wahrnehmen und Handeln
Einschlaf­phase sehr regelmäßige Alpha-Wellen mit 8-10 Wellen je Sekunde und höherer Spannung, am Ende Übergang zu noch lang­sameren Theta-Wellen (4-7 je sek) allmählich erschlaffend, gelegentlich unterbrochen von kurzen Zuckungen („Myoklo­nien“) langsam, eher von oben nach unten als seitlich verengte Wahrneh­mung, Ein­schlaf­phantasien (sogenannte hypna­gogische Hallu­zinationen)
Oberfläch­licher Schlaf

Theta-Wellen, gelegentlich für ½ bis 1 Sekunde unter­brochen von K-Komplexen (einzelne Welle, die viermal so stark ausschlägt wie eine Theta-Welle) und Schlafspindeln (Wellen von 12-14 Ausschlägen pro sek) entspannt gering keines, aber die Person kann leicht durch Umgebungs­reize geweckt werden
Mitteltiefer Schlaf
(10-15 Minuten später)
Theta-Wellen und zunehmend Delta-Wellen (1-3 je sek) mit höherer Spannung und höherem Ausschlag gering sehr gering oder keine keines, der Schläfer kann nur noch durch stärkere Umgebungs­reize geweckt werden
Tiefschlaf
(dauert 30-40 Minuten)
Delta-Wellen vermindert keine keines, gelegentlich Traumbilder (zu 7 Prozent), die Alltags­eindrücke wiederholen. In dieser Phase kann der Schläfer nur sehr schwer geweckt werden.
REM-Schlaf
(90 Minuten nach dem Einschlafen, dauert 5-10 Minuten)
Theta-Wellen, kurze Ausbrüche von Alpha-Wellen keine (vollkom­mene Muskel­lähmung) schnell, wie im Wachzustand lebhafte, phantasie­volle Träume (zu 80 bis 90 Prozent) mit tiefem emotionalem Empfinden. Trotzdem Tiefschlaf..

Nach Beendigung des REM-Schlafes beginnt ein neuer Schlaf­zyklus. Die REM-Phase schließt häufig mit heftigen Körperbewe­gungen ab, die den Zustand völliger Muskellähmung beenden. Über den oberflächlichen Schlaf tauchen wir erneut in mitteltiefen und Tiefschlaf, um nach knapp neunzig Minuten eine neue Traumphase zu erleben. Bei einer Schlafdauer von acht bis neuen Stunden erleben wir vier bis fünf solche Zyklen von je neunzig Minuten Dauer. Im Laufe der Nacht werden die REM-Phasen länger, sie können eine Dauer bis zu zwanzig Minuten erreichen. Die längste der Tiefschlaf­phasen liegt dagegen am Anfang der Nacht, später werden sie im gleichen Maße, wie die Traumphasen länger dauern, kürzer und weniger tief.

Das Erstaunliche am REM-Schlaf ist, daß eine hohe geistige Aktivität stattfindet, obwohl wir tief schlafen. Die Muskeln sind wie gelähmt, die für ihre Steuerung zuständigen Hirnareale zeigen so gut wie keine Aktivität. Anders der Bereich, der die Augen steuert. Dort ist kaum ein Unterschied zum Wachzustand am hellichten Tage festzustellen. Aber auch Herzfrequenz, Blutdruck, Atmung und Stoffwechsel sind gegenüber dem vorhergehenden Tiefschlaf deutlich erhöht. Sogar die Geschlechtsorgane befinden sich in erhöhter Bereitschaft. Männer haben eine Erektion, bei Frauen wird die Vagina feucht. Das Bewußtsein arbeitet auf Hochtouren, ist aber im Unterschied zum Wachen vollkommen von der Körpermotorik abgekoppelt.

Man vermutet, daß der Tiefschlaf vor allem der körperlichen, der REM-Schlaf der geistigen Erholung dient. In der ersten, kürzeren REM-Phase sind die Träume (ähnlich wie die wenigen Tiefschlafträume) nicht sehr interessant. Sie wiederholen lebhafte Alltagseindrücke, gefühlsmäßig beeindrucken sie uns wenig. Deswegen erwachen wir nur selten aus Träumen der ersten Nachthälfte. In den frühen Morgenstunden werden die Träume lebhafter. Ihre Geschichten gewinnen phantastische Dimensionen. Die Eindrücke, die sie verarbeiten, liegen länger zurück – häufig so weit, daß uns ihre Herkunft rätselhaft erscheint. Auf der Gefühls­ebene beeindrucken sie uns so stark, daß wir unter Umständen sogar aus tiefem Schlaf erwachen. Nicht immer können wir uns an den Trauminhalt erinnern. Oft bleibt uns nur der unbestimmte Eindruck eines starken emotionalen Erlebnisses, und wir bemühen uns vergeblich herauszufinden, wodurch er hervorgerufen wurde.
In der Regel erwachen wir am Morgen aus einer REM-Phase.

Was heißt aber „gesunder Schlaf“? Bekanntlich schlafen wir alle sehr unterschiedlich. Da gibt es die Kurz­schläfer, wie der schon genannte Erfinder Thomas Edison, wie Napoleon, Henry Ford, Winston Churchill oder Friedrich II. von Preußen. Die meisten Menschen, auch die meisten berühmten Leute, sind Normalschläfer von sieben bis acht Stunden. Ausgesprochene Langschläfer sind selten – auch wenn viele von uns behaupten, sie könnten ohne weiteres zwölf Stunden durchschlafen, wenn man sie ließe. Eine solche Behauptung ist eher ein Zeichen für ein Schlafdefizit infolge ungünstiger Schlafbedingungen als ein Hinweis auf die Fähigkeit, tatsächlich das halbe Leben im Schlaf zuzubringen. Es gibt nur wenige wirkliche Langschläfer. Albert Einstein war einer von ihnen.

Die Schlafdauer variiert auch mit dem Lebensalter. Säuglinge schlafen bekanntlich sehr viel, zwanzig Stunden am Tag, bis sie sich nach und nach auf zehn Stunden in der Nacht und noch einmal zwei Stunden am Tag einpendeln. Aber auch da gibt es schon individuelle Unterschiede. Manche Kinder gewöhnen sich schnell an die Schlafzeiten, die ihnen Mutter und Vater vorschreiben, andere brauchen Jahre, ohne daß ihnen die Anpassung an die erwarteten Normen jemals zur Zufriedenheit ihrer besorgten Eltern gelingt.

Kinderärzte werden häufig mit den Klagen der Eltern über Schlafstörungen ihrer Kinder konfrontiert. Manche Mutter und noch mehr Väter glauben tatsächlich, ein Kind müsse auf Befehl einschlafen können. Nicht jeder ist so ehrlich, wie die Mutter, die in einer Sprechstunde gefragt wurde, warum ihr Sohn unbedingt abends um acht eingeschlafen sein müsse. Ihre Antwort: „Aber um acht gucken wir die Tagesschau!“ („Und da wollen wir ungestört sein“, hätte sie hinzufügen können.)

Wenn ein Kind zur einer vorgeschriebenen Zeit nicht schläft, ist das selten auf Unartigkeit oder Störrigkeit zurückzuführen, sondern auf seine biologische Uhr, die zu der von den Eltern gewünschten Zeit noch nicht auf Schlaf eingestellt ist. Oder auf falsche Erwar­tungen der Eltern. Wer beispielsweise ein sechsjähriges Kind nachmittags zwei oder drei Stunden schlafen läßt und es abends vor um acht ins Bett steckt, darf sich nicht beschweren, wenn es ihn am Sonntagmorgen noch vor um sechs weckt.

Etwa ab dem zehnten Lebensjahr bildet sich der Schlaf des Erwachsenen heraus mit rund acht Stunden Nachtschlaf und der oben geschilderten Phasenfolge. Vorher, beim Kleinkind, dauert der REM-Schlaf wesentlich länger, bis zu 50 Prozent der Schlafzeit. Kleine Kinder träumen daher sehr viel.

Dieser typische Erwachsenenschlaf bleibt leider nicht während des ganzen Lebens erhalten. Ähnlich wie graue Haare und Falten ist eine verminderte Qualität der Schlaftiefe und -dauer ein erstes Anzeichen für den einsetzenden Übergang ins letzte Lebensdrittel. Vor allem der Anteil des Tiefschlafs sinkt: von über zwanzig Prozent bei jungen Menschen auf unter zehn Prozent bei Rentnern. Häufiges Erwachen in der Nacht ist die Folge. Die Mediziner diskutieren verschiedene Ursachen für diese Wandlung. Ältere Menschen neigen grundsätzlich dazu, sich körperlich weniger zu betätigen als Jugendliche. Da der Tiefschlaf der körperlichen Erholung dient, nimmt er ab, wenn man die körperlichen Leistungsreserven im Laufe des Vortages wenig in Anspruch genommen hat.

Zum anderen gibt es hormonelle Veränderungen. Die Forscher wissen seit langem, daß Schwankungen im Hormonhaushalt im Laufe von Tag und Nacht Schlafen und Wachen beeinflussen. Eine zentrale Rolle spielt hierbei das Melatonin. Dieses Hormon wird von der Zirbeldrüse, die zwischen den beiden Gehirnhälften liegt und deshalb im 17. Jahrhundert von dem Philosophen René Descartes für den Sitz der Seele gehalten wurde, produziert. Das Melatonin wurde erst seit den fünfziger Jahren genauer untersucht, weil man feststellte, daß es Einfluß auf das Melanin hat, den Stoff, der für die Hautpigmentierung verantwortlich ist.

Das Interessante am Hormon Melatonin ist, daß es nur während der Nachtstunden erzeugt wird. Bei Tagesanbruch stellt die Zirbeldrüse seine Produktion ein. Folglich ist der Melatoninspiegel im Blut in den langen Winternächten höher als in den kürzeren Sommernächten. Von Untersuchungen an Säugetieren weiß man inzwischen, daß das Melatonin in eine Reihe von Verhaltensweisen regulierend eingreift. Der hohe Melatoninspiegel im Winter vermindert zum Beispiel die sexuelle Aktivität. „Frühlingsgefühle“ kann man daher zumindest teilweise auf das Sinken des Melatoningehalts im Blut zurückführen, sobald die Tage wieder länger werden.

Da das Hormon ausschließlich bei Dunkelheit erzeugt wird, liegt die Vermutung nahe, daß es an der Auslösung von Müdigkeit und Schlaf beteiligt ist. Im Alter sinkt die Melatoninproduktion der Zirbeldrüse. Insbesondere bei Senioren mit erheblichen Schlafstörungen ist es oft kaum noch nachweisbar. Mit dem Fehlen von Melatonin geht dem Körper aber die Fähigkeit verloren, zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden. Die Folge: Ältere Leute schlafen wenig in der Nacht und erwachen oft – zugleich fühlen sie sich am Tage schon nach wenigen Stunden wieder müde und benötigen immer wieder ein Nickerchen, um den nachts versäumten Schlaf nachzuholen.

Eine der bekanntesten Einteilungen der Menschen nach ihren Schlafgewohnheiten ist die von Morgen- und Abendtypen – oder „Lerchen“ und „Eulen“. Die meisten Menschen gehören weder zur einen noch zur andere Gruppe; sie sind Normalschläfer. Das heißt, ihr „Schlaffenster“, also die Zeit leichten Einschlafens, liegt abends etwa zwischen 22 und 23.30 Uhr, morgens zwischen vier und sechs, sowie nachmittags gegen 16 Uhr. Diese „Schlaffenster“ werden durch eine Reihe biologischer Tagesrhythmen vorgegeben, dazu gehören:


  • Die Körpertemperatur. Die Tagesschwankung beträgt durchschnittlich ein halbes Grad Celsius. Die Temperatur ist am höchsten am späten Nachmittag und am niedrigsten in den frühen Morgenstunden. Das beginnende Absinken am Abend und der niedrige Stand am Morgen begünstigen die Müdigkeit.
  • Hormonelle Rhythmen. Auf das Melatonin wurde schon verwiesen. Jedes Jahr werden neue Nervenbotenstoffe und Hormone entdeckt, die am Einschlafen mitwirken. Auch das Immunsystem ist beteiligt: jeder weiß, daß Infektionen die Müdigkeit erhöhen.
  • Soziale Rhythmen. Für die meisten Menschen bestimmen Arbeitszeit, Schulzeiten der Kinder und ähnliches die Schlafzeiten. Gewohnheit ist ein mächtiger Zeitgeber, der im Laufe der Jahre alte Schlaf-Vorlieben beseitigen und neue etablieren kann.

Warum glauben dann aber die meisten Menschen, wenn man sie befragt, eine „Eule“, also ein Abendtyp zu sein? Weil unsere biologische Uhr so beschaffen ist, daß es uns leichter fällt, seine Einschlafzeit hinauszuschieben als vorzuverlegen. Wer noch nicht einen vollen Leistungstag absolviert hat, schläft nur schwer ein. Wer dagegen über seine übliche Zeit schon hinaus ist, wird schnell „wegtreten“. Diesen Zusammenhang können sich Schichtarbeiter und Fernreisende, die in andere Zeitzonen wechseln, zunutze machen. Ein Rhythmus, der die Einschlafzeit hinausschiebt, ist für die Umstellung der inneren Uhr günstiger als eine Vorverlegung. Wer in den Fernen Osten fliegt, also sechs bis acht Stunden „voraus“, wird kaum um Mitternacht Ortszeit einschlafen können, wenn es bei ihm zu Haus erst sechs Uhr abends ist. Bei einem Flug „zurück“, zum Beispiel nach New York, fällt die Umstellung leichter. Wer es schafft, am ersten Abend bis vier Uhr früh Heimatzeit wach zu bleiben, geht am frühen Abend Ortszeit schlafen.

Wer ein ausgeprägter Morgen- oder Abendtyp ist – also nicht nur das Opfer ungesunder Gewohnheiten – wird mit dem gesellschaft­lichen Zeitrhythmus in permanentem Konflikt leben. Schlafme­diziner haben es immer wieder mit Kindern und Erwachsenen zu tun, denen es trotz größtem Bemühen nicht gelingt, vor vier Uhr früh einzuschlafen und vor zwölf Uhr mittags zu erwachen. Betroffenen können wir nur raten, sich einen typischen Nachtberuf zu suchen wie Wächter oder Barkeeper, beziehungsweise in Schichtberufen (Polizist, Krankenschwester, Bereitschaftsarzt) die Nachtdienste zu übernehmen. Wer dagegen um zwanzig Uhr schon müde ist, dafür aber um vier Uhr früh aufwacht, muß einen Teil seiner Freizeitaktivitäten in die Morgenstunden verlegen. Solange Menschen mit abweichenden biologischen Uhren für sich allein leben, werden sie die Situation meistern. In einer Familie erfordert die Situation viel gegenseitige Toleranz, Rücksichtnahme und notfalls getrennte Zimmer.

Im Normalfall beträgt die Differenz zwischen beiden Typen nicht mehr als zwei Stunden. Wenn jeder dem andern um eine Stunde entgegenkommt, wird eine Anpassung der biologischen Uhren möglich sein.

(gekürzter Vorabdruck aus:
Frank-Uwe Maaß/Frank Naumann: Was Träume und raten. Botschaften des Unbewußten entschlüsseln und nutzen. Verlag Gesundheit, Berlin 1999, ISBN 3-333-01050-X, DM 29,90. Erscheint im Juli 1999.)

In der nächsten Ausgabe: Schlafstörungen und ihre Ursachen. (Mit Test: Ermitteln Sie Ihr Schlafprofil!)
 
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