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- Gehen Sie abends entspannt
zu Bett und sind nach wenigen Minuten
eingeschlafen? Schlafen Sie in einem Zug
durch und wachen am nächsten Morgen
ausgeruht und erfrischt auf? Plötzliches
Hochschrecken in der Nacht und längeres
Wachliegen einerseits, längere Müdigkeitsattacken
am Tag und das Gefühl generell
unausgeschlafen zu sein andererseits sind
Ihnen unbekannt? Herzlichen Glückwunsch!
Sie gehören zu einer von vielen
beneideten Minderheit. Sie werden dieses
Kapitel amüsiert als allgemeine
Information darüber lesen, was in Ihnen
vorgeht, wenn Sie schlafen und sich
freuen, daß Ihr Körper auch ohne Ihr
kontrollierendes Tagesbewußtsein diese
Stunden problemlos bewältigt und zu
seiner Erholung nutzt.
- Die meisten von uns kennen
indes zumindest gelegentliche Schlafstörungen.
Glücklich, wen dieses Schicksal nur
selten trifft und solche Ausnahmenächte
auf Wetterumschwünge, Ärger, schweres
Essen am Vorabend oder den Jet-lag als
Folge eines Kontinentalfluges zurückführen
kann.
- Doch beinahe jeder zweite
klagt, daß er es nicht schafft, sich in
der Nacht so zu erholen, daß er morgens
munter und voll Elan aus den Federn
springt. Ein Drittel der Mitteleuropäer
fühlt sich tagsüber müde und würde
gern nachts länger schlafen können.
Immerhin jeder vierte hat
Einschlafschwierigkeiten und wacht in der
Nacht grundlos wieder auf. Zehn Prozent
leiden unter so extremen Schlafstörungen,
daß ihre Fähigkeit, den Alltag zu bewältigen,
erheblich eingeschränkt ist. Sie benötigen
ärztliche Hilfe. Zehn Prozent, das
klingt nach einer Minderheit. Doch wenn
man sich klar macht, daß sich dahinter
allein in Deutschland acht Millionen
Einzelschicksale verbergen, erkennt man,
daß es sich um eine Volkskrankheit von
epidemischen Ausmaßen handelt. Unfälle,
die infolge von zuwenig Schlaf verursacht
werden, hinterlassen jedes Jahr Schäden
von etwa zwanzig Milliarden Mark
ganz zu schweigen von zahlreichen
Verkehrstoten und -verletzten.
Statistiker der HUK-Versicherung fanden
heraus, daß das kurze Einnicken am
Steuer die häufigste Todesursache auf
Autobahnen darstellt.
- Menschen mit
Schlafproblemen hat es zu allen Zeiten
gegeben, aber den Charakter einer
Massenkrankheit erreichte das Phänomen
erst in den letzten hundert Jahren. Kein
Wunder: Das Leben in beleuchteten Großstädten,
abgekoppelt vom natürlichen Hell-Dunkel-Rhythmus
infolge der Erfindung elektrischer Lampen,
entwickelte sich erst im zwanzigsten
Jahrhundert zur Normalität. Den Luxus
dauernder Kerzen-, Petroleum- oder
Gasbeleuchtung konnten sich davor nur
wenige Wohlhabende leisten. Für die übrigen
galt: Wer am Tag schwer arbeitete und bei
Einbruch der Dunkelheit alle Aktivitäten
infolge Lichtmangels einstellen mußte,
lebte im Einklang mit seiner inneren
biologischen Uhr und kannte keine
Schlafprobleme.
- Bis Ende des neunzehnten
Jahrhunderts war Feuer die einzige Quelle
des Lichts: Lagerfeuer, Fackeln, Fett-
und Öllampen, Kerzen, schließlich
Gaslaternen. Das Feuer verbreitete ein
eher schwaches, dämmriges Licht, das
kaum zum Lesen geeignet war und unaufhörlich
teures Brennmaterial und Sauerstoff
verbrauchte. Der Verbrennungsvorgang
sonderte Rauch, Gerüche und Ruß ab,
hinterließe seine Spuren auf den Wände,
in der Kleidung und in den Möbeln. Das
Feuer mußte ständig bewacht und
erneuert werden. Wenn es erlosch, gab es
Probleme mit dem Wiederanzünden. Verläßliche
Zündhölzer erfand erst das neunzehnte
Jahrhundert.
- Dunkelheit galt schon
immer als Quelle der finsteren Mächte (man
beachte die Doppelbedeutung des Wortes
finster), des Bösen, Gefährlichen,
Angsterregenden. Gespenster hatten ihre
Stunde in der Zeit nach Mitternacht.
Vampire und andere Untote verloren erst
mit Beginn der Morgendämmerung ihre
Macht. Das Gute, der Fortschritt und die
Zivilisation assoziierten die Menschen
mit Helligkeit. Gott sprach Es
werde Licht! und leitete damit
seine Schöpfung ein.
- Man kann sich heute kaum
noch einen Begriff davon machen, mit
welchem Enthusiasmus Edisons Erfindung
der Glühbirne (1879) als Anbruch eines
neuen Zeitalters gefeiert wurde. Daß
sich die Industrie auf die neue
Profitquelle stürzte, wird kaum
verwundern. Doch auch Lenin, der Führer
der kommunistischen Revolution, verkündete:
Kommunismus, das ist Sowjetmacht
plus Elektrifizierung des ganzen Landes.
Über die Nebenwirkungen Hektik,
Streß, Ausbreitung der Schichtarbeit,
Ausdehnung der Abendstunden bis tief in
die Nacht, gestörter, verringerter
Schlaf von Millionen machte sich
kaum jemand Gedanken. Der Erfinder der Glühlampe
selbst war ein ausgesprochener Kurzschläfer.
Für Thomas Alva Edison galt Schlafen als
Zeitverschwendung. Menschen, die viel
schliefen, seien Narren. Für ihn waren
acht Stunden Bettruhe eine Art Fettsucht:
Die meisten Leute essen hundert
Prozent mehr als nötig und schlafen
hundert Prozent mehr als sie brauchen.
Diese hundert Prozent mehr machen sie
ungesund und ineffizient.
- Ist es da ein Wunder, daß
die Medizin und andere Wissenschaften
lange Zeit den Schlaf als ein für die
Forschung unergiebiges Gebiet
betrachteten. Man glaubte, daß während
des Schlafens wenig geschieht. Selbst
wenn, so hätte das kaum Einfluß auf das
Wohlbefinden am Tage. Diese Auffassung
teilte auch der Amerikaner Nathaniel
Kleitman, der erste Forscher, der den
Schlaf in den Mittelpunkt seiner Arbeit
stellte. Er verbrachte mit einem
Assistenten mehrere Wochen in einer
unterirdischen Höhle bei Temperaturen um
den Gefrierpunkt, um zu untersuchen, ob
sich bei Abwesenheit von Tageslicht der Körper
auf einen anderen als den üblichen 24-Stunden-Rhythmus
einstellt. Ihm selbst gelang die
Umstellung nicht, wohl aber seinem
Assistenten.
- Die entscheidende
Entdeckung, die unser Wissen über die
biologischen Grundlagen des Träumens
und Schlafens revolutionierte, machte
Kleitman nicht selbst, sondern ein junger
Doktorand namens Eugene Aserinsky im
Jahre 1953 in Kleitmans Labor. Zu jener
Zeit wandte Kleitman sein Interesse den
langsamen Augenbewegungen zu, die man bei
Menschen während des Einschlafens
beobachten kann. Er wollte wissen, ob
solche Augenbewegungen auch in anderen
Phasen des Schlafes auftreten und ob man
aus ihnen einen Zusammenhang zur
Schlaftiefe ableiten kann. Er beauftragte
Aserinsky mit der Beobachtung. Um sich
nicht die Nächte um die Ohren schlagen
zu müssen, beobachtete der junge
Assistent Säuglinge, die bekanntlich
auch am Tag schlafen. Er stellte sehr
bald fest, daß bei den Babies nach
einiger Zeit die langsamen durch schnelle
Augenbewegungen abgelöst werden, wie man
sie bei wachen Menschen findet. Er
wiederholte seine Untersuchungen an
Erwachsenen und holte Kollegen zur
Mitarbeit, um sich vergewissern, daß die
Personen wirklich schliefen, also nicht
deswegen ihre Augen anders bewegten, weil
sie aufgewacht waren.
- Als Kleitman und Aserinsky
schließlich noch entdeckten, daß die
Leute, wenn man sie während der
schnellen Augenbewegungen weckte, gerade
geträumt hatten und detailliert den
Inhalt erzählen konnten und zwar
weitaus besser und genauer als bei einer
Befragung am nächsten Morgen war
die Sensation perfekt. Da schnelle
Augenbewegung auf englisch Rapid Eye
Movement heißt, nannten Kleitman
und Aserinsky die neu entdeckte Traumschlafphase
abgekürzt REM-Schlaf. Der Artikel in der
renommierten Zeitschrift Science,
in dem sie 1953 ihre Ergebnisse
publizierten, gilt als der Beginn der
modernen Schlaf- und Traumforschung.
- Seither werden Schlafen
und Träumen in modernen Labors
untersucht. Man begnügt sich nicht mehr,
die Leute nach ihren subjektiven Eindrücken
zu befragen, sondern mißt die Hirnströme,
den Muskeltonus und die
Augapfelbewegungen während des Schlafens.
Dabei zeigte sich, daß die Daten, die
mit am Kopf befestigten Elektroden
erhoben werden, zum Teil erheblich von
den Eindrücken abweichen, die die
beobachteten Personen selbst von ihrem
Schlaf haben.
- Die einen sagen: Ich
habe die ganze Nacht kein Augen zugetan!
In Wahrheit haben sie aber die meiste
Zeit geschlafen. Da sie das Wachliegen
als langweilig und lästig beurteilen, überschätzen
sie die Wachzeiten bei Nacht gewaltig.
Die im Schlaf verbrachten Minuten oder
Stunden haben sie dagegen nicht bewußt
erlebt; sie schrumpfen in ihrer
subjektiven Rückschau auf ein Nichts
zusammen.
- Andere sagen vielleicht:
Ich habe die ganze Nacht geschlafen
wie ein Stein! Dennoch weisen die
Aufzeichnungsgeräte häufigere
Wachzeiten nach. Dafür kann es
unterschiedliche Gründe geben.
Aufmerksam sollte werden, wer meint, er
habe die ganze Nacht geschlafen, und sich
trotzdem bei Tag müde fühlt und gar
immer wieder einnickt.
- Sind die im Labor
erhobenen Daten überhaupt mit dem natürlichen
Schlafen in der häuslichen Umgebung
vergleichbar? Kann jemand, der mit einem
Haufen mittels Pflaster befestigter
Metallteile und Kabeln in einem fremden
Zimmer schlafen geschickt wird, überhaupt
einschlafen? Noch dazu, wo er sich von
einem halben Dutzend aufmerksamer
Wissenschaftler in jeder sichtbaren und
unsichtbaren Regung beobachtet weiß?
Werden die Forscher nicht in erster Linie
Schlaflosigkeit beobachten?
Erstaunlicherweise ist eher das Gegenteil
der Fall. Selbst Menschen, die seit
Jahren unter erheblichen Schlafstörungen
leiden, können im Labor tief und fest
schlafen. Woran liegt das?
- Ein Großteil der Schlafstörungen
sind in häuslicher Umgebung angewöhnt
und beruhen auf kleinen Sünden
wie Fernsehen bis tief in die Nacht,
Alkoholkonsum, Grübeln über private und
berufliche Probleme. In der neuen
Umgebung fällt all das weg, die Gedanken
sind ganz auf das Experiment konzentriert.
- Die Versuchsperson weiß
sich in der Obhut von Ärzten, die bemüht
sind zu helfen und für optimale
Schlafbedingungen zu sorgen. Dieses
Vertrauensverhältnis hält Angstgefühle
und Sorgen, die sonst am Einschlafen
hindern, fern.
- Die aufgeklebten
Elektroden werden nach einigen Minuten
Gewöhnung nicht mehr bemerkt.
- Außerdem wurde der
Laborschlaf in vielen hundert Fällen mit
dem Schlaf in häuslicher Umgebung
verglichen. Daher weiß man, daß die
Laborbefunde zuverlässig sind. Während
man subjektiv oft nicht genau sagen kann,
wann eine Person noch wach ist und ab
wann sie endgültig schläft und
es sehr leicht fällt, durch regungsloses
Liegen mit geschlossenen Augen Schlaf
vorzutäuschen verzeichnen die Meßgeräte
die verschiedenen Schlaf- und Wachzustände
ganz genau. Bis hin zum Zeitpunkt des Träumens.
- Schauen wir uns die
Schlafphasen einmal im Überblick an:
|
Hirnstromwellen |
Muskelspannung |
Augenbewegungen |
subjektives Erleben |
Wachzustand |
Beta-Wellen mit hoher Frequenz
(> 15 je sek) und geringer Spannung |
hoch, vom Bewußtsein
kontrolliert |
schnell, von rechts nach links |
bewußtes Wahrnehmen und Handeln |
Einschlafphase |
sehr regelmäßige Alpha-Wellen
mit 8-10 Wellen je Sekunde und höherer
Spannung, am Ende Übergang zu noch langsameren
Theta-Wellen (4-7 je sek) |
allmählich erschlaffend,
gelegentlich unterbrochen von kurzen
Zuckungen (Myoklonien) |
langsam, eher von oben nach
unten als seitlich |
verengte Wahrnehmung, Einschlafphantasien
(sogenannte hypnagogische Halluzinationen) |
- Oberflächlicher
Schlaf
|
Theta-Wellen, gelegentlich für
½ bis 1 Sekunde unterbrochen
von K-Komplexen (einzelne Welle, die
viermal so stark ausschlägt wie eine
Theta-Welle) und Schlafspindeln (Wellen
von 12-14 Ausschlägen pro sek) |
entspannt |
gering |
keines, aber die Person kann
leicht durch Umgebungsreize geweckt
werden |
- Mitteltiefer
Schlaf
- (10-15 Minuten später)
|
Theta-Wellen und zunehmend Delta-Wellen
(1-3 je sek) mit höherer Spannung und höherem
Ausschlag |
gering |
sehr gering oder keine |
keines, der Schläfer kann nur
noch durch stärkere Umgebungsreize
geweckt werden |
- Tiefschlaf
- (dauert 30-40
Minuten)
|
Delta-Wellen |
vermindert |
keine |
keines, gelegentlich Traumbilder
(zu 7 Prozent), die Alltagseindrücke
wiederholen. In dieser Phase kann der
Schläfer nur sehr schwer geweckt werden. |
- REM-Schlaf
- (90 Minuten nach
dem Einschlafen, dauert 5-10
Minuten)
|
Theta-Wellen, kurze Ausbrüche
von Alpha-Wellen |
keine (vollkommene Muskellähmung) |
schnell, wie im Wachzustand |
lebhafte, phantasievolle Träume
(zu 80 bis 90 Prozent) mit tiefem
emotionalem Empfinden. Trotzdem
Tiefschlaf.. |
- Nach Beendigung des REM-Schlafes
beginnt ein neuer Schlafzyklus. Die REM-Phase
schließt häufig mit heftigen Körperbewegungen
ab, die den Zustand völliger Muskellähmung
beenden. Über den oberflächlichen
Schlaf tauchen wir erneut in mitteltiefen
und Tiefschlaf, um nach knapp neunzig
Minuten eine neue Traumphase zu erleben.
Bei einer Schlafdauer von acht bis neuen
Stunden erleben wir vier bis fünf solche
Zyklen von je neunzig Minuten Dauer. Im
Laufe der Nacht werden die REM-Phasen länger,
sie können eine Dauer bis zu zwanzig
Minuten erreichen. Die längste der
Tiefschlafphasen liegt dagegen am
Anfang der Nacht, später werden sie im
gleichen Maße, wie die Traumphasen länger
dauern, kürzer und weniger tief.
- Das Erstaunliche am REM-Schlaf
ist, daß eine hohe geistige Aktivität
stattfindet, obwohl wir tief schlafen.
Die Muskeln sind wie gelähmt, die für
ihre Steuerung zuständigen Hirnareale
zeigen so gut wie keine Aktivität.
Anders der Bereich, der die Augen steuert.
Dort ist kaum ein Unterschied zum
Wachzustand am hellichten Tage
festzustellen. Aber auch Herzfrequenz,
Blutdruck, Atmung und Stoffwechsel sind
gegenüber dem vorhergehenden Tiefschlaf
deutlich erhöht. Sogar die
Geschlechtsorgane befinden sich in erhöhter
Bereitschaft. Männer haben eine Erektion,
bei Frauen wird die Vagina feucht. Das
Bewußtsein arbeitet auf Hochtouren, ist
aber im Unterschied zum Wachen vollkommen
von der Körpermotorik abgekoppelt.
- Man vermutet, daß der
Tiefschlaf vor allem der körperlichen,
der REM-Schlaf der geistigen Erholung
dient. In der ersten, kürzeren REM-Phase
sind die Träume (ähnlich wie die
wenigen Tiefschlafträume) nicht sehr
interessant. Sie wiederholen lebhafte
Alltagseindrücke, gefühlsmäßig
beeindrucken sie uns wenig. Deswegen
erwachen wir nur selten aus Träumen der
ersten Nachthälfte. In den frühen
Morgenstunden werden die Träume
lebhafter. Ihre Geschichten gewinnen
phantastische Dimensionen. Die Eindrücke,
die sie verarbeiten, liegen länger zurück
häufig so weit, daß uns ihre
Herkunft rätselhaft erscheint. Auf der
Gefühlsebene beeindrucken sie uns so
stark, daß wir unter Umständen sogar
aus tiefem Schlaf erwachen. Nicht immer können
wir uns an den Trauminhalt erinnern. Oft
bleibt uns nur der unbestimmte Eindruck
eines starken emotionalen Erlebnisses,
und wir bemühen uns vergeblich
herauszufinden, wodurch er hervorgerufen
wurde.
- In der Regel erwachen wir
am Morgen aus einer REM-Phase.
- Was heißt aber gesunder
Schlaf? Bekanntlich schlafen wir
alle sehr unterschiedlich. Da gibt es die
Kurzschläfer, wie der schon genannte
Erfinder Thomas Edison, wie Napoleon,
Henry Ford, Winston Churchill oder
Friedrich II. von Preußen. Die meisten
Menschen, auch die meisten berühmten
Leute, sind Normalschläfer von sieben
bis acht Stunden. Ausgesprochene Langschläfer
sind selten auch wenn viele von
uns behaupten, sie könnten ohne weiteres
zwölf Stunden durchschlafen, wenn man
sie ließe. Eine solche Behauptung ist
eher ein Zeichen für ein Schlafdefizit
infolge ungünstiger Schlafbedingungen
als ein Hinweis auf die Fähigkeit, tatsächlich
das halbe Leben im Schlaf zuzubringen. Es
gibt nur wenige wirkliche Langschläfer.
Albert Einstein war einer von ihnen.
- Die Schlafdauer variiert
auch mit dem Lebensalter. Säuglinge
schlafen bekanntlich sehr viel, zwanzig
Stunden am Tag, bis sie sich nach und
nach auf zehn Stunden in der Nacht und
noch einmal zwei Stunden am Tag
einpendeln. Aber auch da gibt es schon
individuelle Unterschiede. Manche Kinder
gewöhnen sich schnell an die
Schlafzeiten, die ihnen Mutter und Vater
vorschreiben, andere brauchen Jahre, ohne
daß ihnen die Anpassung an die
erwarteten Normen jemals zur
Zufriedenheit ihrer besorgten Eltern
gelingt.
- Kinderärzte werden häufig
mit den Klagen der Eltern über Schlafstörungen
ihrer Kinder konfrontiert. Manche Mutter
und noch mehr Väter glauben tatsächlich,
ein Kind müsse auf Befehl einschlafen können.
Nicht jeder ist so ehrlich, wie die
Mutter, die in einer Sprechstunde gefragt
wurde, warum ihr Sohn unbedingt abends um
acht eingeschlafen sein müsse. Ihre
Antwort: Aber um acht gucken wir
die Tagesschau! (Und da
wollen wir ungestört sein, hätte
sie hinzufügen können.)
- Wenn ein Kind zur einer
vorgeschriebenen Zeit nicht schläft, ist
das selten auf Unartigkeit oder Störrigkeit
zurückzuführen, sondern auf seine
biologische Uhr, die zu der von den
Eltern gewünschten Zeit noch nicht auf
Schlaf eingestellt ist. Oder auf falsche
Erwartungen der Eltern. Wer
beispielsweise ein sechsjähriges Kind
nachmittags zwei oder drei Stunden
schlafen läßt und es abends vor um acht
ins Bett steckt, darf sich nicht
beschweren, wenn es ihn am Sonntagmorgen
noch vor um sechs weckt.
- Etwa ab dem zehnten
Lebensjahr bildet sich der Schlaf des
Erwachsenen heraus mit rund acht Stunden
Nachtschlaf und der oben geschilderten
Phasenfolge. Vorher, beim Kleinkind,
dauert der REM-Schlaf wesentlich länger,
bis zu 50 Prozent der Schlafzeit. Kleine
Kinder träumen daher sehr viel.
- Dieser typische
Erwachsenenschlaf bleibt leider nicht während
des ganzen Lebens erhalten. Ähnlich wie
graue Haare und Falten ist eine
verminderte Qualität der Schlaftiefe und
-dauer ein erstes Anzeichen für den
einsetzenden Übergang ins letzte
Lebensdrittel. Vor allem der Anteil des
Tiefschlafs sinkt: von über zwanzig
Prozent bei jungen Menschen auf unter
zehn Prozent bei Rentnern. Häufiges
Erwachen in der Nacht ist die Folge. Die
Mediziner diskutieren verschiedene
Ursachen für diese Wandlung. Ältere
Menschen neigen grundsätzlich dazu, sich
körperlich weniger zu betätigen als
Jugendliche. Da der Tiefschlaf der körperlichen
Erholung dient, nimmt er ab, wenn man die
körperlichen Leistungsreserven im Laufe
des Vortages wenig in Anspruch genommen
hat.
- Zum anderen gibt es
hormonelle Veränderungen. Die Forscher
wissen seit langem, daß Schwankungen im
Hormonhaushalt im Laufe von Tag und Nacht
Schlafen und Wachen beeinflussen. Eine
zentrale Rolle spielt hierbei das
Melatonin. Dieses Hormon wird von der
Zirbeldrüse, die zwischen den beiden
Gehirnhälften liegt und deshalb im 17.
Jahrhundert von dem Philosophen René
Descartes für den Sitz der Seele
gehalten wurde, produziert. Das Melatonin
wurde erst seit den fünfziger Jahren
genauer untersucht, weil man feststellte,
daß es Einfluß auf das Melanin hat, den
Stoff, der für die Hautpigmentierung
verantwortlich ist.
- Das Interessante am Hormon
Melatonin ist, daß es nur während der
Nachtstunden erzeugt wird. Bei
Tagesanbruch stellt die Zirbeldrüse
seine Produktion ein. Folglich ist der
Melatoninspiegel im Blut in den langen
Winternächten höher als in den kürzeren
Sommernächten. Von Untersuchungen an Säugetieren
weiß man inzwischen, daß das Melatonin
in eine Reihe von Verhaltensweisen
regulierend eingreift. Der hohe
Melatoninspiegel im Winter vermindert zum
Beispiel die sexuelle Aktivität. Frühlingsgefühle
kann man daher zumindest teilweise auf
das Sinken des Melatoningehalts im Blut
zurückführen, sobald die Tage wieder länger
werden.
- Da das Hormon ausschließlich
bei Dunkelheit erzeugt wird, liegt die
Vermutung nahe, daß es an der Auslösung
von Müdigkeit und Schlaf beteiligt ist.
Im Alter sinkt die Melatoninproduktion
der Zirbeldrüse. Insbesondere bei
Senioren mit erheblichen Schlafstörungen
ist es oft kaum noch nachweisbar. Mit dem
Fehlen von Melatonin geht dem Körper
aber die Fähigkeit verloren, zwischen
Tag und Nacht zu unterscheiden. Die Folge:
Ältere Leute schlafen wenig in der Nacht
und erwachen oft zugleich fühlen
sie sich am Tage schon nach wenigen
Stunden wieder müde und benötigen immer
wieder ein Nickerchen, um den nachts versäumten
Schlaf nachzuholen.
- Eine der bekanntesten
Einteilungen der Menschen nach ihren
Schlafgewohnheiten ist die von Morgen-
und Abendtypen oder Lerchen
und Eulen. Die meisten
Menschen gehören weder zur einen noch
zur andere Gruppe; sie sind Normalschläfer.
Das heißt, ihr Schlaffenster,
also die Zeit leichten Einschlafens,
liegt abends etwa zwischen 22 und 23.30
Uhr, morgens zwischen vier und sechs,
sowie nachmittags gegen 16 Uhr. Diese
Schlaffenster werden durch
eine Reihe biologischer Tagesrhythmen
vorgegeben, dazu gehören:
- Die Körpertemperatur. Die
Tagesschwankung beträgt durchschnittlich
ein halbes Grad Celsius. Die Temperatur
ist am höchsten am späten Nachmittag
und am niedrigsten in den frühen
Morgenstunden. Das beginnende Absinken am
Abend und der niedrige Stand am Morgen
begünstigen die Müdigkeit.
- Hormonelle Rhythmen. Auf
das Melatonin wurde schon verwiesen.
Jedes Jahr werden neue Nervenbotenstoffe
und Hormone entdeckt, die am Einschlafen
mitwirken. Auch das Immunsystem ist
beteiligt: jeder weiß, daß Infektionen
die Müdigkeit erhöhen.
- Soziale Rhythmen. Für die
meisten Menschen bestimmen Arbeitszeit,
Schulzeiten der Kinder und ähnliches die
Schlafzeiten. Gewohnheit ist ein mächtiger
Zeitgeber, der im Laufe der Jahre alte
Schlaf-Vorlieben beseitigen und neue
etablieren kann.
- Warum glauben dann aber
die meisten Menschen, wenn man sie
befragt, eine Eule, also ein
Abendtyp zu sein? Weil unsere biologische
Uhr so beschaffen ist, daß es uns
leichter fällt, seine Einschlafzeit
hinauszuschieben als vorzuverlegen. Wer
noch nicht einen vollen Leistungstag
absolviert hat, schläft nur schwer ein.
Wer dagegen über seine übliche Zeit
schon hinaus ist, wird schnell wegtreten.
Diesen Zusammenhang können sich
Schichtarbeiter und Fernreisende, die in
andere Zeitzonen wechseln, zunutze machen.
Ein Rhythmus, der die Einschlafzeit
hinausschiebt, ist für die Umstellung
der inneren Uhr günstiger als eine
Vorverlegung. Wer in den Fernen Osten
fliegt, also sechs bis acht Stunden
voraus, wird kaum um
Mitternacht Ortszeit einschlafen können,
wenn es bei ihm zu Haus erst sechs Uhr
abends ist. Bei einem Flug zurück,
zum Beispiel nach New York, fällt die
Umstellung leichter. Wer es schafft, am
ersten Abend bis vier Uhr früh
Heimatzeit wach zu bleiben, geht am frühen
Abend Ortszeit schlafen.
- Wer ein ausgeprägter
Morgen- oder Abendtyp ist also
nicht nur das Opfer ungesunder
Gewohnheiten wird mit dem
gesellschaftlichen Zeitrhythmus in
permanentem Konflikt leben. Schlafmediziner
haben es immer wieder mit Kindern und
Erwachsenen zu tun, denen es trotz größtem
Bemühen nicht gelingt, vor vier Uhr früh
einzuschlafen und vor zwölf Uhr mittags
zu erwachen. Betroffenen können wir nur
raten, sich einen typischen Nachtberuf zu
suchen wie Wächter oder Barkeeper,
beziehungsweise in Schichtberufen (Polizist,
Krankenschwester, Bereitschaftsarzt) die
Nachtdienste zu übernehmen. Wer dagegen
um zwanzig Uhr schon müde ist, dafür
aber um vier Uhr früh aufwacht, muß
einen Teil seiner Freizeitaktivitäten in
die Morgenstunden verlegen. Solange
Menschen mit abweichenden biologischen
Uhren für sich allein leben, werden sie
die Situation meistern. In einer Familie
erfordert die Situation viel gegenseitige
Toleranz, Rücksichtnahme und notfalls
getrennte Zimmer.
- Im Normalfall beträgt die
Differenz zwischen beiden Typen nicht
mehr als zwei Stunden. Wenn jeder dem
andern um eine Stunde entgegenkommt, wird
eine Anpassung der biologischen Uhren möglich
sein.
- (gekürzter Vorabdruck aus:
- Frank-Uwe Maaß/Frank
Naumann: Was Träume und raten.
Botschaften des Unbewußten entschlüsseln
und nutzen. Verlag Gesundheit, Berlin
1999, ISBN 3-333-01050-X, DM 29,90.
Erscheint im Juli 1999.)
- In der nächsten Ausgabe:
Schlafstörungen und ihre Ursachen. (Mit
Test: Ermitteln Sie Ihr Schlafprofil!)
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