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		    Wenn Ihnen durch Zufall in einem Antiquariat ein Sprachkurs
		    von vor hundert Jahren in die Hände gerät  schauen Sie einmal
		    nach, wie er aufgebaut ist. Unsere Vorfahren paukten Vokabeln plus
		    Grammatikregeln und versuchten dann, daraus fremdländische Sätze
		    zusammenzubasteln. Eine fremde Sprache sprechen ähnelte mehr einer
		    Rechenaufgabe als echter Kommunikation. Die Sprachpraxis wurde trainiert
		    wie Kopfrechnen. In sogenannten Drill-Übungen wurde immer wieder dieselbe
		    grammatische Schwierigkeit mechanisch geübt, bis sie
		    saß. Das Sprechen war mühsam und langsam. Es erforderte
		    sehr viel Übung, um auf diese Weise zu einem halbwegs natürlichen
		    Sprechen zu gelangen.
		  
		    
 
		    Bis auf wenige Ausnahmen hat man von dieser Methode Abschied
		    genommen. Heute wird die Konversationsmethode vorgezogen. Der Schüler
		    soll möglichst viel die echte Sprache hören und in natürlichen
		    Sprechsituationen versuchen, sich zu verständigen. Am besten funktioniert
		    diese Methode in dem Land, in dem diese Sprache auch gesprochen wird. Deswegen
		    sind Sprachferien so beliebt. Neben der Gelegenheit, das Gelernte nach Ende
		    der Lektion sofort praktisch zu erproben, wirkt die Umgebung motivierend.
		    Man spürt unmittelbar, wozu man lernt. 
		  
		    
 
		    Diese Methode beruht auf der Erkenntnis, daß jeder sich
		    eine fremde Sprache aneignet, wenn er nur lange genug im Ausland lebt.
		    Frühere DDR-Studenten, die in Moskau studierten, benötigten zwei
		    Jahre, dann beherrschten sie das schwierige Russisch fließend 
		    und zwar alle, unabhängig von der Sprachbegabung. 
		  
		    
 
		    Damit ist zugleich der Nachteil der Methode genannt. Sie brauchen
		    viel Zeit und ständig Leute um sich, die die Fremdsprache sprechen.
		    Die Leute kann man teilweise ersetzen: durch Hörkassetten, Videos, CDs
		    und ähnliches. Computergestützte Multimediakurse erkennen
		    Aussprachefehler, präsentieren einem Land und Leute in Video-Sequenzen
		    und liefern allzeit verfügbare Dialogpartner. Aber der enorme Zeitaufwand
		    bleibt. Außerdem bleibt das so Gelernte nicht lange haften. Ohne dauerndes
		    Hören und Sprechen geht das einmal erlangte Sprachgefühl bald wieder
		    verloren. 
		  
		    
 
		    Was macht aber jemand, der für seinen Beruf Sprachkenntnisse
		    benötigt, dem aber genau dieser Beruf keine Zeit für aufwendige
		    Lernprogramme läßt? Der seine Sprachkenntnisse nicht ständig,
		    sondern nur rund zwei- bis dreimal im Jahr benötigt  dann aber
		    intensiv und möglichst perfekt? Wer als hoffnungsvoller Nachwuchs gilt,
		    wird unter Umständen von seinem Unternehmen auf dessen Kosten geschult
		    und immer wieder zu Auffrischungskursen geschickt. Öfter aber muß
		    man neben Fach-, Führungs- und Computerkenntnissen bereits Sprachkenntnisse
		    vorweisen, um als hoffnungsvoller Nachwuchs eingestuft zu werden.
		  
		    
 
		    Ein Teufelskreis ohne Ausweg? Früher wie heute gab es
		    immer wieder Wissenschaftler und Geschäftsleute, die trotz hoher
		    Arbeitsbelastung Fremdsprachen lernten, ohne deshalb ihr hohes Arbeitspensum
		    einzuschränken. Das bekannteste Beispiel war Heinrich Schliemann. Als
		    Geschäftsmann erarbeitete er sich jahrzehntelang das Geld für seine
		    späteren archäologischen Exkursionen, die er aus eigener Tasche
		    finanzierte. Er grub Troja und das Grab des Agamemnon aus. Nebenbei lernte
		    er zwanzig Sprachen.
		  
		    
 
		    Ein Ausnahmegenie? Vielleicht. Aber es gibt weitere Beispiele.
		    Als Karl Marx für seine ökonomischen Studien russische Literatur
		    lesen mußte, eignete er sich die notwendigen Kenntnisse innerhalb weniger
		    Wochen an. Von vielen Forschern ist bekannt, daß sie mehrere Sprachen
		    lasen und sprachen. Ende des letzten Jahrhunderts lernten Franzosen,
		    Engländer und Amerikaner deutsch, um auf den Gebieten Physik und Chemie
		    mitreden zu können. (Deutschland galt in jenen Jahren als
		    naturwissenschaftlich führend.) Keiner von ihnen konnte sich Sprachferien
		    oder mehrjährigen Unterrricht leisten.
		  
		    
 
		    Wie haben diese Leute Sprachen gelernt? Sie kauften sich ein
		    Wörterbuch und eine Grammatik. Mit deren Hilfe nahmen sie sich
		    originalsprachliche Texte vor und übersetzten sie sorgfältig. Dann
		    lernten sie statt Vokabeln und Regeln die wichtigsten Textteile
		    auswendig!
		  
		    
 
		    Ein Text, der alle benötigten Vokabeln und Grammatikregeln
		    in ihrer Anwendung enthält, ist leichter zu merken als ellenlange
		    Wortlisten. Denn Sie lernen die Wörter im Zusammenhang. Durch die Verbindung
		    der Wörter merken Sie sich außerdem, wie die fremde Sprache die
		    Wörter und Grammatik tatsächlich anwendet. Und: es geht Ihrem
		    Gedächtnis keine einzige Vokabel und keine grammatische Regel verloren.
		    Sie sind alle Bestandteile des Textes, der zwischen ihnen einen
		    unlöslichen, sinnvollen Zusammenhang herstellt.
		  
		    
 
		    Ich habe diese Lernerfahrung als Jugendlicher eher unbeabsichtigt
		    gemacht. Bis zur zehnten Klasse erhielt ich in den Sprachfächern meine
		    schwächsten Zensuren. Doch dann spielte ich Gitarre und lernte nach
		    und nach eine Reihe von Liedtexten auswendig. Manche Texte (von Bob Dylan
		    oder Simon & Garfunkel) bieten weitaus mehr als I love you
		    oder Dont leave me now. Nach etwa dreißig Texten
		    merkte ich, daß ich flüssig Englisch sprach und verstand. 
		  
		    
 
		    Sie fragen sich vielleicht: Oh Gott, muß ich da
		    nicht Hunderte von Texten auswendig lernen? 
		  
		    Keineswegs. Ich habe mit dieser Methode im Selbststudium
		    später die französische Sprache gelernt  ohne Vorkenntnisse.
		    Dafür benötigte ich 21 Texte. Der erste war zehn Zeilen, der letzte
		    drei Seiten lang. Diese Texte enthielten die gesamte Grammatik in der Anwendung
		    und etwa 3000 Vokabeln. Das ist mehr, als ein Abitur bietet. Wenn Sie
		    täglich ein bis eineinhalb Stunden Zeit einplanen, können Sie dieses
		    Pensum in weniger als einem halben Jahr schaffen.
		  
		    
 
		    Aber auch wenn Sie nicht soviel Zeit haben, funktioniert dieses
		    Vorgehen. Sie brauchen in diesem Fall die Texte nur in kürzere Einheiten
		    zu teilen.
		  
		    
 
		    Das Lernen der Texte fällt nicht so schwer, wie Sie
		    vielleicht vermuten  vorausgesetzt, sie haben sie korrekt übersetzt.
		    Das eigentlich Mühsame sind die Wiederholungen. In weniger als einer
		    Woche ist der gelernte Text aus Ihrem Gedächtnis wieder verschwunden,
		    wenn Sie es beim einmaligen Lernen belassen. Die Lernpsychologie hat für
		    das effektive Wiederholen eine Regel entdeckt: die zeitlichen Abstände
		    zwischen den Wiederholungen sollten sich mit jedem Mal verdoppeln.
		  
		    
 
		    Praktisch heißt das: Sie lernen zunächst den Text.
		    Er muß nicht perfekt sitzen, sondern nur so einigermaßen.
		    (Dafür benötigen Sie je nach Textlänge fünfzehn Minuten
		    bis eine Stunde. Mehr sollten Sie sich nicht auf einmal vornehmen.) Die Festigung
		    überlassen Sie dem Wiederholen. Sie repetieren den neu gelernten Text
		    im Kopf noch mal eine halbe Stunde später. Wenn Sie stecken bleiben,
		    schauen Sie ins Buch, prägen sich die Stelle erneut ein und machen dann
		    im Kopf weiter.
		  
		    
 
		    Auf die gleiche Weise wiederholen Sie am nächsten Tag.
		    Zunächst im Kopf, bei Hängern schauen Sie ins Buch.
		    Dann schauen Sie sich den gesamten Text im Buch an, ob alles korrekt war,
		    und wiederholen ihn (ohne ins Buch zu schauen) noch einmal. 
		  
		    
 
		    Die nächste Wiederholung erfolgt nach zwei Tagen, dann
		    nach vier Tagen, nach acht Tagen, sechzehn Tagen und so weiter. Sie erreichen
		    schnell einen Stand, wo Sie nur noch nach Monaten wiederholen brauchen. Mit
		    jeder Wiederholung verfestigt sich außerdem das Gelernte. Der Text,
		    der Ihnen beim Erlernen noch schwierig vorkam, voll von Zungenbrechern und
		    merkwürdigen Konstruktionen, erscheint Ihnen nach der achten Wiederholung
		    als etwas Vertrautes. 
		  
		    
 
		    Von diesem Zeitpunkt an sitzen die Vokabeln und
		    die Grammatik. Wenn Sie später ins Mutterland Ihrer Fremdsprache fahren
		    und Vokabeln benötigen, blättern Sie gedanklich in Ihrem Text nach,
		    wo das entsprechende Wort vorkam. Sie werden schnell feststellen, daß
		    Sie meist gar nicht groß nachdenken müssen. Da Sie einen Haufen
		    Mustersätze im Kopf haben, bilden Sie den benötigten Satz nach
		    Gefühl. Ihre Intuition warnt Sie sofort, wenn Ihr gerade gebildeter
		    Fremdsprachensatz zu dem gelernten Muster in Widerspruch steht.
		  
		    
 
		    Sobald Sie den ersten Text Ihres Lernpensums zwei bis drei
		    Mal wiederholt haben  also nach einer halben Woche  können
		    Sie sich den zweiten Text vornehmen. Übersetzen, Wörter und neue
		    Grammatikregeln anschauen, bis Sie sie verstanden haben. Dann den Text auswendig
		    lernen. 
		  
		    
 
		    Da das Wiederholungslernen im Kopf stattfindet, können
		    Sie dafür Warte- und sonstige Leerzeiten nutzen. In der U-Bahn, im Stau,
		    in Wartezimmern, sogar während langweiliger Sitzung, bei denen Sie nur
		    körperlich anwesend sein müssen. Nur wenn Sie sich eine neue Lektion
		    erschließen, benötigen Sie Ruhe und Abgeschiedenheit. Dadurch
		    läßt sich das Lernen ohne weiteres in eine termingefüllte
		    Arbeitswoche integrieren.
		  
		    
 
		    Die zuletzt gelernten Texte müssen Sie häufiger
		    wiederholen als die früheren. Bei den früheren sind Sie schon bei
		    größeren zeitlichen Abständen angelangt. Wenn Sie pro Woche
		    Ihrem Gedächtnis zwei neue Texte hinzufügen, können Sie nach
		    zehn Wochen zwanzig Texte auswendig. Sobald Sie den letzten Text mindestens
		    acht Mal wiederholt haben (nach weiteren zwei Monaten) sind Ihre Sprachkenntnisse
		    anwendungsbereit.
		  
		    
 
		    Nun enthüllt sich ein weiterer Vorteil dieser Methode.
		    Wenn Sie von Zeit zu Zeit Ihre Texte wiederholen, können Sie Ihre
		    Sprachkenntnisse nicht wieder vergessen! Um meine 21 Französischtexte
		    im Kopf aufzusagen, benötige ich eine bis eineinhalb Stunden. Danach
		    ist alles wieder parat. Wenn ich also Besuch aus Frankreich erhalte oder
		    selbst dorthin fahre, bin ich auf diese Weise in kürzester Zeit wieder
		    fit.
		  
		    
 
		    Voraussetzung für diese Methode sind lediglich
		    Regelmäßigkeit, Durchhaltewillen und ein durchschnittliches
		    Gedächtnis. Eine besondere Sprachbegabung ist nicht nötig.
		  
		    
 
		    Wo finden Sie die geeigneten Texte? Am ehesten in
		    Sprachlehrbüchern, die in Lektionen untergliedert sind, welche mit einem
		    Text einsteigen und danach die Vokabeln, die Grammatik und ein paar Übungen
		    anbieten. Für den Grundkurs kaufen Sie sich eine Kassette oder eine
		    andere Tonkonserve dazu, wegen der korrekten Aussprache. 
		  
		    
 
		    In meinem Französischkurs bestand der Grundkurs aus zehn,
		    der Fortgeschrittenenkurs aus elf Lektionen. (Leider gibt es ihn nicht mehr
		    zu kaufen, deshalb verzichte ich auf eine Literaturangabe.) Falls Sie keine
		    vorgefertigten Texte finden (zum Beispiel, weil Sie sich mit einer besonders
		    exotischen Sprache befassen), können Sie auch Originaltexte nehmen.
		    In diesem Fall steigen Sie am besten mit einem Ausschnitt aus einem Kinderbuch
		    ein, zum Beispiel einem bekannten Märchen, das Sie auf deutsch schon
		    kennen. Oder einer Schulfibel aus jenem Land. Erschließen Sie sich
		    den Text mit Grammatik und Wörterbuch. Erhöhen Sie nach und nach
		    den Schwierigkeitsgrad der Texte. Leichte Texte für Erwachsene finden
		    sich in Sachbüchern, die Alltagsthemen behandeln, und in einfach
		    geschriebenen Romanen (Krimis, Groschenromane). Anspruchsvollere Texte zu
		    unterschiedlichen Themen liefern Tageszeitungen. Es empfiehlt sich Texte
		    auszuwählen, die für Sie wichtige Informationen enthalten. Das
		    motiviert zusätzlich, sich die Sätze zu merken.
		  
		    
 
		    Wieviel müssen Sie lernen, um eine Sprache tatsächlich
		    zu beherrschen? Wenn jemand sagt Ich kann drei Sprachen 
		    wieviel muß er/sie wirklich können, damit die Aussage stimmt?
		  
		    
 
		    Um sich notdürftig zu verständigen, reicht der
		    Grundkurs. Damit können Sie nach dem Weg fragen, im Laden nach einem
		    Preis fragen, bezahlen und ähnliches. Freilich sollten Sie ein
		    Wörterbuch griffbereit dabei haben.
		  
		    
 
		    Nach einem Fortgeschrittenenkurs  vorausgesetzt, sie
		    haben ihn nach unserer Methode durchgearbeitet  können Sie einfache
		    Unterhaltungen zu Alltagsthemen führen, ohne Hände und Füße
		    zu Hilfe nehmen zu müssen. Sie können Originalliteratur lesen
		    (außer schwieriger Belletristik und spezieller Fachliteratur), ohne
		    mehr als fünf Mal pro Seite im Wörterbuch nachzuschauen. 
		  
		    
 
		    Sprachbeherrschung liegt freilich erst vor, wenn Sie sich
		    in der Sprache bewegen können. Das bedeutet nicht, daß
		    Sie perfekt wie ein Muttersprachler sind. Sie dürfen einen Akzent haben
		    und müssen nicht jedes Wort kennen. Aber Sie können Ihr Gegenüber
		    verstehen und identifizieren ein unbekanntes Wort klar in einem Umfeld von
		    lauter bekannten Wörtern. Sie sind fähig, gezielt nachzufragen,
		    was der unbekannte Ausdruck bedeutet. Wenn Sie selbst etwas erzählen
		    wollen, und das passende Wort fällt Ihnen nicht ein, können Sie
		    es umschreiben. Beispiel: Wie nennt man das? Die Straße ist voll
		    Autos, der Verkehr bewegt sich nicht weiter. Die Antwort verrät
		    Ihnen, was Stau in der Fremdsprache heißt. 
		  
		    
 
		    Die Voraussetzungen hatte ich mit meinen 21
		    Französischtexten erreicht, freilich auf dem untersten Level. Mit etwas
		    Zusatzvokabular und dem gelegentlichen Lesen und Hören von
		    französischen Texten konnte ich nach einigen Monaten das Niveau der
		    Sprachbeherrschung erreichen. 
		  
		    
 
		    Wenn Sie nun noch Gelegenheit finden, im lebendigen Gespräch
		    Ihre Kenntnisse anzuwenden, hängt es nur noch von Ihnen ab, wann Sie
		    in die letzten Geheimnisse der fremden Kultur eintauchen. 
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