Es gibt so viele Definitionen von Intelligenz, wie Forscher, die sich mit
	ihr beschäftigen. Klar ist, Intelligenz ist nicht dasselbe wie Klugheit
	oder Wissen. Es ist die Fähigkeit, die da sein muß, um mit Wissen
	und Bildung etwas anfangen zu können. Das heißt, zuerst ist die
	Intelligenz da, und dann die Erziehung.
	
	Andererseits läßt sich Intelligenz nicht unbedingt an Schulleistungen
	ablesen. Sicher, ein Kind, dem die Intelligenz fehlt, wird nie eine große
	Leuchte sein. Andererseits kann man in der Schule durch fleißiges
	Auswendiglernen gut verdecken, daß der behandelte Stoff gar nicht
	verstanden wurde. Und schließlich gibt es immer wieder intelligente
	Schüler, die keine Lust zum Büffeln haben, und deshalb nur
	mäßige Zensuren nach Hause bringen.
	
	Eine Reihe weiterer Probleme tut sich auf. Ist Intelligenz eine allgemeine
	Denkbegabung oder bezieht sie sich nur auf spezielle Fähigkeiten? Einige
	der größten Mathematiker hatten Schwierigkeiten ihr Abitur zu
	bestehen, weil sie im Lateinunterricht scheiterten. Musikgenies wiederum
	waren häufig Problemfälle im Matheunterricht.
	
	Leider  oder zum Glück  ist Intelligenz nicht von außen
	zu sehen. Man hat Versuchspersonen Fotos von Personen gegeben und sie gebeten,
	deren Intelligenz einzuschätzen. Dabei zeigten sich zwei Dinge:
	
	1. Jeder fühlt sich instinktiv in der Lage, vom Äußeren her
	die Intelligenz anderer einzuschätzen und gibt ein sicheres Urteil ab,
	wenn er dazu aufgefordert wird.
	
	2. Das Ergebnis dieser Einschätzungen geht katastrophal in die Irre.
	Die Versuchspersonen lassen sich von der Sympathie, der Kleidung oder angeborenen
	Gesichtszügen leiten. Das Gesamtresultat ihrer Beurteilung ist nicht
	besser als eine zufällige, blinde Zuordnung von Intelligenzquotienten.
	
	Etwas besser wird das Ergebnis, wenn es gilt, lebendige Personen bei
	Alltagstätigkeiten zu beurteilen. Ein wacher Blick und rasche, sparsame
	Bewegungen werden mit Recht als Anzeichen von Intelligenz genommen. Noch
	zuverlässiger wird das Urteil, wenn die zu beurteilende Person spricht.
	Längere Sätze und ein reiches Vokabular, das viele abstrakte Begriffe
	richtig verwendet, ist ein sicherer Hinweis auf Intelligenz. Man kann damit
	grob drei Klassen unterteilen: wenig, mäßig und hoch intelligent.
	Doch auch hier sind Irrtümer möglich. Viele Menschen sprechen
	intelligent", wenn sie über etwas reden, womit sie sich auskennen
	und werden unbeholfen, sobald sie sich auf wenig vertrautem Terrain bewegen.
	Daher entstand bald das Bedürfnis, eine zuverlässige Methode zu
	entwickeln, mit der Intelligenz sich messen läßt.
	
	Zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte der Franzose Binet den ersten
	Intelligenztest ursprünglich mit dem Ziel, bei Schulversagern
	die Milieugeschädigten von den von Natur Unbegabten zu trennen. Die
	US-Army wendete bald darauf Intelligenztests für die Auswahl und den
	optimalen Einsatz ihrer Rekruten an. Als sich dabei ergab, daß die
	Schwarzen im Durchschnitt weniger gut abschnitten als die Weißen,
	entbrannte eine ideologische Schlacht um das Wort Intelligenz", deren
	Feuer noch heute schwelen.
	
	Es stellte sich heraus, daß es unmöglich ist, eindeutig festzustellen:
	
	· Ist Intelligenz ausschließlich angeboren oder in
	größerem Maße lernabhängig?
	
	· Welche Einzelfähigkeiten gehören zur Intelligenz? Gängige
	Intelligenztest konzentrieren sich auf Sprachliches und Logik (besonders
	das Klassifizieren von Ober- und Unterbegriffen), räumlich-technisches
	Vorstellungsvermögen und mathematisches Problemlösen.
	
	· Läßt sich ein kulturunabhängiger Intelligenztest
	konstruieren?
	
	· Wie hängen Intelligenz und Lebenserfolg zusammen?
	
	· Gibt es überhaupt die" Intelligenz oder muß man mehrere
	Intelligenzen unterscheiden?
	
	In ihrer Verzweiflung behaupteten manche Forscher schließlich:
	Intelligenz ist, was ein Intelligenztest mißt." Damit wäre
	Intelligenz nur noch davon abhängig, was der jeweilige Tester für
	Aufgaben stellt.
	
	Auch wir werden die Probleme der Psychologen nicht lösen können
	 aber ein bißchen Klarheit schaffen, das sollte möglich
	sein.
	
	Über ein paar Dinge sind sich alle Experten einig:
	
	· Intelligenz mißt bestimmte allgemeine Aspekte der
	Denkfähigkeiten.
	
	· Intelligenz steht für das Niveau der Denkprozesse, die bei den
	Individuen unterschiedlich ausgeprägt ist.
	
	· Intelligenz befähigt, Probleme mittels Nachdenken zu lösen.
	Sie setzt vor allem drei Fähigkeiten voraus:
	
	* Im Geiste neue Wege zu finden, um scheinbar Unlösbares doch noch zu
	bewältigen.
	
	* Effektiv zu lernen und das Gelernte und Erfahrene optimal zu nutzen.
	
	* Konkrete Schwierigkeiten mit abstrakten Mitteln (Formeln, Symbole Begriffe)
	anzupacken.
	
	Die klassische" Intelligenz ist also die Fähigkeit, mittels abstraktem
	Denken Probleme zu lösen. Im Vordergrund steht dabei die Befähigung,
	Hindernisse durch das Ersinnen von klug gewählten Umwegen zu umgehen.
	Noch deutlicher wird dies vielleicht, wenn wir uns klar machen, was Intelligenz
	nicht ist.
	
	1. Intelligenz ist nicht Lebenserfolg. Die Fähigkeit, für schwierige
	Probleme Auswege zu finden, kann auch im Alltag hilfreich sein, genügt
	aber häufig nicht. Das zwischen-menschliche Miteinander erfordert
	außerdem emotionales Einfühlungsvermögen, praktische
	Fertigkeiten, Interesse an den innerseelischen Vorgängen der Mitmenschen
	und sehr viel Alltagserfahrung. Dazu kommt alltagspraktisches Wissen 
	wie man eine Steuererklärung ausfüllt, geschickt mit Bankangestellten
	verhandelt, einen Wasserhahn montiert und ähnliches. Wer dieses Wissen
	hat, ist jedem überlegen, der durch Nachdenken und Ausprobieren erst
	Lösungen dafür finden muß. Versuche, aufgrund des
	Intelligenzquotienten Voraussagen über den Schulabschluß oder
	spätere berufliche Erfolge zu machen, hatten deshalb immer nur eine
	geringe Treffenquote.
	
	2. Intelligenz ist nicht Kreativität. Ein Hauptfaktor schöpferischen
	Handelns ist Originalität. Für die Intelligenz steht nicht so sehr
	die Neuartigkeit im Vordergrund, sondern eher die Frage, ob die gefundene
	Lösung das Problem angemessen meistert. Das wiederum ist für
	Kreativität eher zweitrangig. Intelligenz zergliedert und analysiert,
	Kreativität fügt zusammen und synthetisiert. Nicht nur in der Kunst,
	sondern auch in der Wissenschaft sind die kreativsten Menschen nicht unbedingt
	die intelligentesten. Umgekehrt sind viele Leute mit einem hohen
	Intelligenz-quotienten nicht durch sonderlich kreative Leistungen aufgefallen.
	
	3. Intelligenz ist weder Fleiß, noch Motivation, Disziplin oder
	Konzentrationsfähigkeit. All diese Willensqualitäten sind für
	geistige Leistungen unerläßlich, aber sie müssen zur Intelligenz
	hinzukommen, damit der Einzelne seine Denkbegabung nutzen kann. Deshalb ist
	es in der Realität häufiger, daß ein fleißiger Mensch
	mit nur durchschnittlicher Intelligenz einen hervorragenden Studienabschluß
	hinlegt und sich später an die Spitze eines Arbeitsteams hocharbeitet,
	als daß ein intelligenter Mensch, der sich nur gelegentlich anstrengt,
	Lorbeeren erntet.
	
	Fest steht auch, daß Intelligenz nicht ein für allemal gegeben
	ist. Erziehungseinflüsse und eine stimulierende oder hemmende Umwelt
	verändern die Begabung. Das bewies vor vielen Jahren ein berühmtes
	Experiment. Lehrern wurde eine Schulklasse zugewiesen, deren Schüler
	sie nicht kannten. Als einzige Vorinformation erhielten sie eine Liste der
	Schüler, auf der die jeweiligen Intelligenzquotienten vermerkt waren.
	Was die Lehrer nicht wußten: die angegebenen Intelligenzquotienten
	waren frei erfunden. Das erstaunliche Resultat nach einem halben Jahr
	Schulunterricht: die Zensuren entsprachen in etwa den angeblichen
	Intelligenzquotienten auf der Liste, nicht der tatsächlichen Denkbegabung.
	
	Das heißt, der Lehrer hatte unbewußt ein Kind, das er aufgrund
	seiner Vorinformationen für besonders intelligent halten mußte,
	wie ein besonders intelligentes Kind behandelt  mit dem Resultat, daß
	es in der Tat bessere Zensuren erhielt als vorher. Kluge Kinder, die dem
	Lehrer als weniger intelligent vorgestellt wurden, fielen dagegen in ihren
	Leistungen zurück.
	
	Daraus sollte niemand den Schluß ziehen, das Begabungsunterschiede
	allein auf Einbildung beruhen. Aber das Experiment zeigt, daß zumindest
	im Kindesalter Erziehung an den natürlichen Voraussetzungen einiges
	zu ändern vermag.
	
	In den letzten Jahren haben Versuche, den klassischen Intelligenzbegriff
	auszuweiten, viel Aufmerksamkeit in den Medien gewonnen. Das Buch
	Emotionale Intelligenz" von Goleman wurde ein Bestseller. Bald folgten
	Werke über Erfolgs-Intelligenz oder Beziehungs-Intelligenz. Man spricht
	inzwischen von räumlicher Intelligenz (bildende Künstler),
	Bewegungs-Intelligenz (Sportler, Tänzer), musikalischer Intelligenz
	 sogar der Fähigkeit zur Selbsterkenntnis (intrapersonale Intelligenz)
	und der Organisation zeitlicher Abläufe (temporale Intelligenz) wurden
	eigene Intelligenzformen zugewiesen.
	
	Das zeigt, daß auch andere Begabungen höchst ungleich verteilt
	sind, durch Übung und Erfahrung geschult werden können und daß
	ihre Stärke prinzipiell getestet werden kann.