Es ist schon erstaunlich:
Seit Jahrzehnten verkaufen uns große Firmen Waschmaschinen,
Handys, Autos und viele andere Geräte mit dem Versprechen,
sie würden uns von den Plagen des Alltags entlasten
und den Weg zu mehr Muße und Gelassenheit frei machen.
Das Gegenteil ist passiert. Noch nie standen wir so sehr
unter Druck wie heute. Immer häufiger stöhnen
wir über Zeitmangel, überquellende Terminkalender
und fehlende Entspannung. Es trifft nicht nur workaholics.
Auch die Freizeit ist zunehmend zu einem Stressfaktor geworden.
Da müssen Tickets beschafft, Einkäufe organisiert,
Verabredungen eingehalten und Kontakte gepflegt werden.
Manches Vergnügen stellt sich als mindestens ebenso
anstrengend heraus wie die Überstunden im Büro.
Freizeit allein genügt nicht. Was wir verlernt haben,
ist die Kunst, das Leben mit einfachen Mitteln, die weder
Aufwand noch Kosten erfordern, zu genießen. "Downshifting"
(Herunterschalten) heißt der neue Trend aus Amerika.
Er bringt uns die Muße zurück. Das dahinterstehende
Prinzip ist sehr alt. Schon antike Philosophen wußten,
daß nur der entspannt genießen kann, der aus
den Gegebenheiten des Lebens Weniges, Wesentliches auswählt.
Wer versucht, jede sich bietende Chance wahrzunehmen, um
ja nichts zu verpassen, hetzt sich zu Tode. Sokrates (469-399
v. Chr.) soll beim Gang über den Markt von Athen gesagt
haben: "Ich sehe mit Freude, wie viele Dinge es gibt, die
ich nicht benötige."
Downshifting besteht aus folgenden Schritten:
Entrümpeln: Gehen Sie Ihre Besitztümer
und Kontakte durch. Welche von ihnen bereiten Ihnen Freude
und bauen Sie seelisch auf? Welche sind nutzlos oder gar
eine Last? Konzentrieren Sie sich auf erstere und trennen
Sie sich von den übrigen. Füllen Sie Ihre Schränke
und Adreßbücher nicht länger mit Überflüssigem
nach dem Motto "man weiß ja nie, ob der/die /das nicht
eines Tages noch wichtig für mich sein könnte".
Was zwei Jahre lang nutzlos war, wird es mit hoher Wahrscheinlichkeit
auch die nächsten zwanzig Jahre noch sein.
Weniger konsumieren: Viele Konsumgüter haben
zwei Seiten: Beispiel Auto: Es verschafft Ihnen unabhängige
Mobilität. Aber es kostet viel Geld und einiges an
Zeit in der Anschaffung, Werkstatterminen, Versicherung,
Tanken usw. Stellen Sie gedanklich eine Nutzen-Kosten-Bilanz
auf, die nicht nur die finanzielle Belastung, sondern auch
Zeitaufwand, Sorgen und Ärger dem tatsächlichen
Nutzen gegenüberstellt. Geben Sie sich dann eine ehrliche
Antwort, ob das Konsumgut sich für Sie wirklich rentiert.
Eine solche Bilanz lohnt nicht nur technische Geräte,
Garten und Wochenendhäuser, sondern auch für jeden
anderen Aufwand - freiwillige Überstunden für
die Karriere, Treffen mit anstrengenden Freunden, Abonnements
von Zeitungen, Theaterkarten oder im Fitnessklub und vieles
mehr.
Prioritäten setzen: Was bringt Ihnen wirklich
Entspannung und Genuß? Den meisten Menschen fällt
es schwer, diese Frage ehrlich zu beantworten, weil sie
den Genuß dort suchen, wo nach üblicher Meinung
jedermann Genuß finden sollte. Etwa beim Mallorcaurlaub,
beim Erwerb eines Eigenheims oder bei rauschenden Partys
bis früh um vier. Beobachten Sie sich. Finden Sie heraus,
ob Ihnen andere Dinge nicht viel mehr Freude bereiten. Zum
Beispiel stundenlang auf dem Sofa vor sich hinträumen,
in alten Fotos kramen oder in einem Zug ans Herz gehende
Liebesromane durchschmökern. Was es auch sei: Nehmen
Sie sich viel Zeit dafür. Soviel, daß Sie nicht
wegen des nächsten Termins dauernd auf die Uhr schauen
müssen. Alle anderen Dinge, die Sie nur tun, weil "man"
sie eben tut, lassen Sie wenigstens für eine Woche
ausfallen. Beobachten Sie, wie Sie sich dabei fühlen.
Wenn Ihnen die Veränderung gut tut, verändern
Sie Ihre Prioritäten auf Dauer.
Innere Freiheit finden: Streben Sie nach Karriereerfolg,
Reichtum, Beliebtheit und Anerkennung Ihrer Leistungen?
Was wir unternehmen, um diese Ziele zu erreichen, gehört
zu den gefährlichsten Stressfaktoren unserer Zeit.
Eine neue Studie in der USA zeigt, daß die Leute dort
inzwischen dreimal soviel verdienen wie vor 40 Jahren. Glücklich
fühlen sich aber nur 30 Prozent - heute genauso wie
damals. Die Kunst heißt: Loslassen. Weniger äußerer
Erfolg bringt oft mehr Glück, wenn Sie dafür die
Möglichkeit gewinnen, Ihr Leben frei zu gestalten und
nur Dinge zu tun, die kreativ sind und Ihnen wirklich Spaß
machen.
Weitere Informationen finden Sie in unseren Beiträgen
aus früheren Ausgaben von EGO-Net:
Leistungsdruck
- Chance für die Kreativität? Neue Erkenntnisse
der Streßforschung [1/98]
Lebenskunst - Philosophie
als Lebenshilfe [6/00]
Wohlfühl-Intelligenz Wie
Sie schlechte Stimmungen auf Dauer verjagen [10/00]
Das Hamster-Syndrom Haben
Sie einen Hang zum Horten? [2/01]