Attraktivität ist sicher von Vorteil, aber
keineswegs eine Erfolgsgarantie im Flirtspiel. Weshalb wären sonst
viele Gutaussehende allein und manch graue Maus glücklich verheiratet?
Legt man Männern zwei Dutzend Fotos von Frauen vor und bittet sie,
die attraktivste herauszusuchen, so werden fast alle auf dieselben zwei
oder drei Traumwesen tippen. Umgekehrt findet man auch bei Frauen mit
der gleichen Methode eine hohe Übereinstimmung, wie ein attraktiver
Mann aussieht. Schauen Sie jetzt aber genauer hin, mit was für Männern
beziehungsweise Frauen die Versuchspersonen in ihrem Leben eine Partnerschaft
eingegangen sind, so werden Sie finden, daß den Personen an ihrer
Seite meist dieses attraktive Äußere fehlt.
Sicher, wer selbst nicht gerade wie ein Adonis oder
eine Venus aussieht, wird es schwer haben, ein Wesen mit Idealmaßen
für sich zu begeistern. Aber fast jeder kennt selbst Leute in seiner
Umgebung, die einen recht attraktiven Partner zugunsten eines äußerlich
weniger anziehenden Wesens "umgetauscht" haben. Worauf achten
wir also wirklich, wenn wir nach Männern und Frauen Ausschau halten,
die "in Frage kommen"?
Eine erste Antwort gibt bereits das gerade beschriebene
Experiment mit den Fotos. Die schönsten Männer und Frauen
sind die mit den ebenmäßigsten, das heißt durchschnittlichsten
Gesichtern. Durchschnitt ist aber nicht nur schön, sondern wird
auch am schnellsten wieder vergessen. Nur was aus dem Rahmen fällt,
bleibt wegen seiner Abweichung vom Gewohnten und Vertrauten im Gedächtnis
haften. Ebenso verhält es sich mit der Aufmerksamkeit. Stellen
Sie zwischen fünf schöne, elegante Personen fünf richtig
häßliche Individuen mit monströsen Gesichtszügen
und greller, schräger Kleidung, so wird der Blick der Betrachter
zuerst von den auffälligen Abweichungen angezogen.
Bloße Schönheit hat eine Tendenz zur Unauffälligkeit.
Und das kann in unserer Zeit, wo es ein Erfolgskriterium geworden ist,
um jeden Preis Aufmerksamkeit zu erregen, um aus der Masse herauszuragen,
zum Nachteil werden. Die Modelszene beweist es zur Genüge. In immer
schnellerem Tempo verschleißen sich die kaum von einander unterscheidbaren
Gesichter und dünnen Figuren. Nur die wenigen, die es schaffen
wegen individueller Besonderheiten im Gedächtnis zu bleiben, haben
eine Chance auf eine längere Karriere.
Also Auffälligkeit um jeden Preis? So einfach ist
es leider nicht. Es kommt nämlich darauf an, ob die Betrachter
die auffälligen Besonderheiten als positiv oder negativ, als sympathisch
oder unsympathisch wahrnehmen. Niemand kann allen gefallen, sondern
nur denen, die auf ihr Äußeres positiv ansprechen. Es gibt
viele Leute, die Harald Schmidt oder Verona Feldbusch gern näher
kennenlernen würden - aber mindestens ebenso viele, die beide für
affektiert und albern halten.
Die Unterschiede in der Beurteilung hängen von
unserem inneren Wertesystem ab. Und das ist das Resultat einer lebenslangen
Entwicklung. Unter anderem enthält es folgende Beurteilungskriterien
fremder Personen:
- Wichtige Bezugspersonen, die uns entscheidende Impulse
in der Kindheit gaben, oder uns maßlos enttäuschten und
betrogen. Neue Bekanntschaften, die uns in ihrem Aussehen oder Verhalten
an diese Bezugspersonen erinnern, beurteilen wir spontan in ähnlicher
Weise. Die Folge: wir suchen oft Partner, die unseren Eltern oder
unserer ersten Liebe ähneln - oder ihr genaues Gegenteil zu sein
scheinen.
- Was wir an uns selbst nicht leiden können
- da suchen wir bei andern nach einer positiven Ergänzung. Bin
ich eher chaotisch, beeindrucken mich Leute, die ihr Leben perfekt
organisieren können. Bin ich eher träge, beeindrucken mich
nimmermüde Energiebündel. Solche Begegnungen unterschiedlicher
Charaktere bringen oft starke Leidenschaften hervor. Aber wegen der
Verschiedenheit übersteht die Liebe meist nicht die Mühen
des Alltag.
- Worauf wir im Leben Wert legen, entscheidet
mit darüber, nach welchen Eigenschaften wir bei andern suchen.
Das ist ein Hauptgrund, warum wir uns oft an sehr schöne Personen
des andern Geschlechtes nicht heranwagen. Sie verunsichern uns. Wir
neigen dazu, lieber jemanden anzusprechen und zu erobern, der uns
ähnlich ist. Und zwar in jeder Hinsicht. Die meisten stabilen
Partnerschaften bestehen zwischen zwei Menschen, die etwa gleich groß,
gleich attraktiv, von ähnlicher sozialer Herkunft und Intelligenz
sind, ähnliche Berufe, Hobbys und Zukunftsvorstellungen haben,
Insbesondere Eigenschaften, die wir an uns selbst gut finden, möchten
wir auch beim Partner wiederfinden.
Wie checken wir nun einander ab, ob der andere für
uns in Frage kommt? Nach neueren Forschungsergebnissen verläuft
der Prozeß in mehreren Stufen.
Stufe Eins. In weniger als drei Sekunden sortieren
wir gedanklich die Menschen unserer Umgebung - zum Beispiel auf einer
Party, auf der wir niemanden kennen außer dem Gastgebern - nach:
- Auffällig und sympathisch
- Auffällig und unsympathisch
- Unauffällig und uninteressant.
Wenn Sie einen Flirt riskieren wollen, werden Sie sich
jemanden aus der ersten Gruppe aussuchen. Als sympathisch und erotisch
eingeschätzte Männer haben überdurchschnittlich häufig
folgende Eigenschaften:
- Überdurchschnittliche Körpergröße
(über 1,80m)
- Aufrechte, lockere Körperhaltung
- Vitalität (lockere, sichere Bewegungen; wacher,
neugieriger Blick)
- Lächeln
- Kleidung, die einen höheren sozialen Status
andeutet (sportlicher Anzug)
- Gepflegtes Äußeres
- Sichere Gesten und Blickkontakt.
Männer achten bei Frauen auf ähnliche Signale:
- Nicht zu schlanke Figur, deren Reize durch passende
Kleidung und Schmuck nur teilweise enthüllt werden. Andeutung
ist Trumpf.
- Blickkontakt und Lächeln
- Sanfte, fließende Bewegungen und Gesten
- Mischung aus selbstbewußtem Auftreten und Hilfsbedürftigkeit.
Stufe Zwei. Zu über neunzig Prozent lassen
wir Personen mit erotischer Ausstrahlung an uns vorüberziehen,
ohne sie je kennenzulernen. Nur bei besonderen Gelegenheiten starten
wir einen Flirt. Das Spiel der Blicke dient dazu festzustellen, ob das
erotische Interesse auf Gegenseitigkeit beruht. Es beginnt mit einem
Blick von etwas mehr als drei Sekunden, der Interesse signalisiert.
Meist geht der erste Blick von der Frau aus. Nach spätestens vier
Sekunden wendet sie die Augen wieder ab. Hat der Mann den Blick registriert,
wird er sie nun anschauen und anlächeln. Daraufhin schaut sie ihn
wieder an, er schaut zur Seite, dann wieder hin und so weiter. Dieser
stumme Flirt dauert etwa eine halbe Minute.
Stufe Drei. War der Blickwechsel ermutigend,
muß einer von beiden das Gespräch eröffnen. Sonst wird
einer von beiden nach der halben Minute - in der Regel wieder die Frau
- den stummen Dialog der Augen einstellen. Trotz aller Emanzipation
fällt meistens dem Mann die Initiative zu. Nut höchst selten
erklärt er im ersten Satz, daß er sie sympathisch findet
und sie näher kennenlernen möchte - ein Geständnis, zu
dem einer Fremden gegenüber viel Mut gehört (und von ihrer
Seite viel Mut, sich einem Fremden gegenüber daraufhin auf eine
Bekanntschaft einzulassen). Viel öfter reden die beiden zunächst
über ganz banale Dinge, die sich aus der Situation ergeben - typischen
Smalltalk eben. Das heißt, der erste Satz könnte lauten:
- "Woher kennen Sie unseren Gastgeber?" (auf
einer Party)
- "Waren Sie schon öfter hier?"
- "Könnte es sein, daß ich Sie hier
schon einmal getroffen habe?"
- "Ist das nicht ein scheußliches Wetter?"
- "Wissen Sie, wo hier das nächste Postamt
ist?"
Und was die Phantasie sonst noch her gibt.
Der Inhalt ist nicht entscheidend, sondern daß
der erste Satz eine Fortsetzung des Gesprächs erlaubt. Im Smalltalk
spricht man meist über den Beruf, wichtige persönliche Daten
(Name, Alter, Wohnort), Hobbys, Urlaubs- und Zukunftspläne. Die
dabei ausgetauschten Informationen sind aber nicht das wichtigste am
Gespräch, sondern eher die Art und Weise, wie der andere auf mich
eingeht. Männer und Frauen checken ihr Gegenüber gleichermaßen
auf folgende Eigenschaften ab:
- Kann er/sie aufmerksam zuhören?
- Wie groß sind Humor und Toleranz ausgeprägt?
- Wie stark ist sein/ihr Interesse an dem, was ich
erzähle?
- Geht der/die andere auf mich ein?
- Wie groß sind unsere Übereinstimmungen?
Liegen wir auf einer Wellenlänge?
- Weckt er/sie meine Neugier, mehr von ihm/ihr zu erfahren?
Stufe Vier. Nach etwa fünf bis zehn Minuten
ist die Entscheidung gefallen, ob sich eine Fortsetzung der Bekanntschaft
lohnt oder nicht. Wenn ja, wird man sich verabreden oder wenigstens
Telefonnummern austauschen. Wenn nein, wird sich derjenige, der sich
als erstes gegen eine gemeinsame Zukunft entschieden hat, mit einem
Vorwand davonmachen - oder wenn er es sich nicht traut, eine falsche
Telefonnummer nennen.
Was tun aber diejenigen, die zur unauffälligen
Mehrheit gehören, und immer nur beobachten müssen, wie andere
aus ihrer Umgebung angeflirtet werden? Die sich außerdem nicht
trauen, den ersten Schritt zu wagen? Für sie ist die Öffentlichkeit,
die Begegnung mit Unbekannten, nicht das richtige Terrain. Die repräsentativen
Befragungen zeigen, daß die meisten sich am Arbeitsplatz, im Urlaub
oder bei gemeinsamen Hobbys (zum Beispiel im Fitnesscenter) kennenlernen.
Das heißt, die Liebe auf den ersten Blick ist die Ausnahme, die
Liebe auf den zweiten Blick die Regel. Als neue Kontaktfläche dieser
Art ist das Chatten im Internet dazugekommen.
Kurz, wenn Ihre Stärke nicht in Ihrer äußeren
Wirkung, sondern in Ihren inneren Werten liegt, sollten Sie möglichst
vielen in Frage kommenden Menschen den anderen Geschlechts die Möglichkeit
geben, nach und nach Ihre inneren Werte kennenzulernen. Und das geht
nur über eine längere Bekanntschaft. In diesem Fall springt
der Funke erst spät über, oft erst nach Jahren. Eine Liebe,
die auf diesem Weg zustande kommt, schlägt zwar nicht ein wie der
Blitz, hält aber oft länger und fester als die rasche, alles
verschlingende Leidenschaft.
Lesen Sie in unserer nächsten Ausgabe die Fortsetzung:
Verführung
Wie Männer und Frauen einander in ihren Bann ziehen