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Wie viel Pech müssen wir in Kauf nehmen?

Murphys Gesetz lautet „Was schief gehen kann, wird auch schief gehen“. Es ist die Aus­rede aller Pech­vögel und das Haupt­argu­ment von Pessi­misten und Skepti­kern. Doch stimmt es überhaupt? Und wenn ja, bringt es uns nur Nach­teile?

Ed Murphy war Luftwaffen­offizier und Physiker aus Leidenschaft. 1949 wollte er einen raketen­betriebenen Schlitten öffentlich vorführen. Alles war vorher mehrfach getestet und überprüft worden – trotzdem funktio­nierte er nicht. Ein Techniker hatte wichtige Anschlüsse um 90 Grad verdreht eingesetzt. An diese Fehlerquelle hatte niemand gedacht. Bei der anschlie­ßenden Presse­konferenz, sagte Murphy seinen berühmten Satz: „Wenn etwas schief gehen kann, dann wird es auch schief gehen.“ Diese Formulierung brachte ein Journalist unter dem Namen „Murphy’s Law“ unter das Volk.

Murphys Gesetz ist heute so berühmt wie Newtons Gravitations­gesetz. Newtons Gesetz ist tausendfach wissenschaftlich getestet. Wie sieht es mit Murphys Gesetz aus? Ist es mehr als der Stoßseufzer vom Pech verfolgter Zeitgenossen? Jeder hat schon Erfahrung mit Murphys Gesetz gemacht: Der Mord passiert im Fernseh­krimi genau dann, wenn man rasch mal auf Toilette verschwindet. Im Supermarkt erwischt man garantiert dann die langsamste Kasse, wenn man es besonders eilig hat. Und ausgerechnet an dem Tag, an dem man zwei Minuten zu spät kommt, fährt der Zug ausnahms­weise pünktlich.

Murphys Gesetz ist mehr als Einbildung. Hinter ihm stecken wichtige Gesetz­mäßigkeiten. Zwei Dinge garantieren seine Wirksamkeit: Die Statistik und die Psychologie.

1. Statistik kennt kein „nie“ und kein „immer“. Sie rechnet mit Wahrschein­lichkeiten. Wenn also jemand sagt „Das geht zu 99 Prozent gut“ heißt das im Umkehrschluss: Jeder Hundertste wird Pech haben, Oder anders ausgedrückt: Wenn Sie eine Sache hundert Mal riskieren, werden Sie 99 Mal Glück haben. Aber einmal in hundert Fällen schlägt Murphys Gesetz zu.

Oft ist allerdings die Wahrschein­lichkeit des Scheiterns so gering, dass Ihr Leben zu kurz ist, um tatsächlich von Murphys Gesetz getroffen zu werden. Ein Fluggast kann statistisch gesehen 33 Millionen Kilometer fliegen, ehe er durch einen Absturz ums Leben kommt. Wenn Sie täglich tausend Kilometer weit fliegen würden, könnten Sie folglich damit rechnen, 32 999 Tage lang sicher anzukommen. Bei je einem 1000-Kilometer-Flug pro Woche also 630 Jahre lang. Da trifft das „Was schief gehen kann, geht schief“ fast immer andere. Unfälle im Straßen­verkehr sind häufiger. Wer (noch) nicht selbst in einen verwickelt war, hat zumindest schon mehrere live beobachtet.

Doch Murphys Gesetz wirkt auch im Positiven. Für einen Sechser im Lotto müssen Sie im Schnitt rund 15 Millionen Mal spielen. Um dazu noch die Superzahl für den Jackpot zu erreichen, sogar 150 Millionen Mal. Es ist leicht auszurechnen, dass bei vielen Millionen Mitspielern selbst dieses seltene Ereignis alle paar Wochen einmal eintreffen muss. Die Wahrschein­lichkeit, selbst dieser Glückspilz zu sein, ist dagegen verschwindend gering. Dafür liegt die Wahrschein­lichkeit, mit meinem Einsatz einem anderen Glückspilz seinen Gewinn mitzu­finanzieren, bei nahezu hundert Prozent.

Andere Ereignisse sind statistisch häufiger. Meist gehen Sie gut – aber gelegentlich geht eben schief, was theoretisch schief gehen kann. Wer sich bei Glatteis nach draußen wagt, wird früher oder später mal stürzen. Wer ohne Regenschirm aus dem Haus geht, wird garantiert mal von einem unerwarteten Schauer überrascht. Wer hat noch nie seinen Schlüssel vergessen, einen wichtigen Termin verschwitzt, Namen verwechselt, den Bus verpasst oder sich trotz aller Vorsicht mit einem Fauxpas blamiert?

2. Die Psychologie hat entdeckt, dass wir Verluste höher bewerten als Gewinne. Hundert verlorene Euro ärgern uns weit mehr als hundert gewonnene Euro uns freuen würden. Der Grund liegt im Erbe aus dem Überlebens­kampf der Urzeit. Eine großartige Jagd­beute konnten unsere Vorfahren öfter mal erzielen und sich einige Tage an dem Glück freuen. Sein Leben konnte man jedoch nur einmal verlieren. Wer daher den Verlust nicht stärker fürchtete als den Gewinn, ist ausgestorben und gehört nicht zu unseren Vorfahren.

Das hat praktische Konse­quenzen für unseren Alltag. Wie oft haben Sie sich schon geärgert, dass Sie knapp die U-Bahn verpassten und nur noch die Rücklichter sahen? Betrachten wir die Sache mal vom Standpunkt eines unbeteiligten Beobachters:

Wenn Ihre U-Bahn im 10-min-Takt fährt, werden Sie statistisch jedes fünfte Mal gerade dann auf dem Bahnsteig ankommen, wenn die U-Bahn vor weniger als zwei Minuten aus dem Bahnhof gefahren ist. Diese Fälle ärgern uns, und die merken wir uns. Ebenso, wenn Sie die langsamste Warte­schlange erwischen. Nehmen wir an, fünf Kassen sind offen. Dann werden Sie jedes fünfte Mal die langsamste erwischen und sich ärgern. Wir vergessen jedoch, dass wir ebenso jedes fünfte Mal glücklich durch die schnellste Kasse gekommen sind. Und meistens eine der mittelschnellen Schlangen erwischen.

Murphys Gesetz sagt nur, dass fast alles schief gehen kann. Aber nicht wie oft. Als vorsichtige Zeitgenossen rechnen wir vor wichtigen Entscheidungen genauer nach. Wir verrechnen den möglichen Schaden eines Scheiterns mit dem Risiko seines Eintretens. Das heißt, wir riskieren ein Scheitern eher, wenn seine Folgen nicht so gravierend sind. Ein höheres Risiko gehen wir nur ein, wenn ein Scheitern äußerst selten eintritt.

So dient Murphys Gesetz in erster Linie als prima Ausrede für die alltäglichen Pleiten und Pannen. Trösten wir uns: Nur wer gar nichts tut, begeht auch keine Fehler.

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veröffentlicht im Juli 2010 © by www.berlinx.de

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